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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

Dr. Tobias Lindner

(A) hat mit der Neuausrichtung der Bundeswehr den Weg
„Breite vor Tiefe“ eingeschlagen. Der Wehrbeauftragte
ist darauf eingegangen. Mit „Breite vor Tiefe“ meint er,
ein möglichst breites Fähigkeitsspektrum bei einer eher
geringen Durchhaltefähigkeit vorrätig zu halten.
Obwohl die Neuausrichtung der Bundeswehr noch
nicht am Ende ist, lesen wir schon jetzt im Bericht des
Wehrbeauftragten, dass nicht nur Material an die Grenzen seiner Belastbarkeit gerät, sondern auch die Soldatinnen und Soldaten. Sie, Frau von der Leyen, sprachen
vorhin über „4/20“, über das Modell, dass sich Soldatinnen und Soldaten nach maximal 4 Monaten Auslandseinsatz 20 Monate in Deutschland regenerieren können.
Es ist erschreckend, wenn im Bericht des Wehrbeauftragten zu lesen ist, dass das Personalmanagementsystem der Bundeswehr eben nicht in der Lage ist, die Einsatzbelastung von Soldatinnen und Soldaten zu erfassen.
Das ist ein Punkt, der schleunigst geändert werden muss.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Da klatscht ja
noch nicht einmal die eigene Truppe!)
Dritter Aspekt. Hier ist auch über Ausrüstung gesprochen worden. Frau Kollegin Schäfer, Sie sind hier auf
viele Ausrüstungsfragen eingegangen. Wenn wir einen
Blick in den kürzlich vorgestellten zweiten Regierungsentwurf zum Haushalt 2014 werfen und uns die mittelfristige Finanzplanung anschauen, dann lesen wir eben
auch, dass wir in der Finanzplanung eine Bugwelle voller fehlgeschlagener oder zumindest problembehafteter
Beschaffungsprojekte vor uns herschieben, dass es da
eben alles andere als gut ist. Deswegen haben Sie ja
(B) Konsequenzen gezogen, Frau von der Leyen. Meine
Sorge ist, dass diese Bugwelle von Pleiten, Pech und
Pannen, die da nach vorne rollt, in Zukunft auch dazu
führen kann, dass Geld für notwendige Maßnahmen
fehlt. Auch deshalb ist es notwendig, dass wir uns alle
gemeinsam und jeder für sich Beschaffungsvorhaben
kritisch anschauen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte zum Schluss kommen. Wir sehen an dem
heute debattierten Bericht des Wehrbeauftragten nicht
nur klar und deutlich, dass auf der Truppe, was die Neuausrichtung, was Veränderungen betrifft, Druck liegt,
sondern auch, dass wir viele Fragezeichen hinter Strukturentscheidungen setzen müssen, die mit der Neuausrichtung angegangen werden sollen. Deswegen – das
will ich abschließend sagen – ist nicht nur eine Evaluation der Neuausrichtung der Bundeswehr dringend notwendig, sondern auch und vor allem das Ziehen von
Rückschlüssen aus dieser, gegebenenfalls das Umsetzen
von Veränderungen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Dirk Vöpel.
(Beifall bei der SPD)

Dirk Vöpel (SPD):

(C)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei den
Debatten zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten des
Deutschen Bundestages können wir in diesem Hohen
Hause auf eine mittlerweile lange und beeindruckende
Tradition von mehr als fünf Jahrzehnten zurückblicken.
Seit 1959 war der Jahresbericht immer wieder Anlass für
grundsätzliche Auseinandersetzungen über den Zustand
und die Zukunftsperspektiven der Großorganisation
Bundeswehr. Ich freue mich deshalb sehr, dass ich heute
zu diesem traditionsreichen Tagesordnungspunkt reden
darf.
Sehr geehrter Herr Königshaus, als inhaltlicher Quereinsteiger in Sachen Bundeswehr war mir bereits Ihr
Jahresbericht 2012 eine große Hilfe. Er hat mir innerhalb
kurzer Zeit einen ersten fundierten Einstieg in die aktuellen Themen und Probleme ermöglicht, die unsere Soldatinnen und Soldaten bewegen. Auch der vorliegende Bericht zum Jahr 2013 macht keine Ausnahme, was die
Hilfestellung angeht. Für alle, die Verantwortung für die
Angehörigen unserer Bundeswehr tragen, ist er eine Informationsquelle von hohem Wert.
Vorbildlich finde ich vor allem auch, dass der Bericht
sprachlich an keiner Stelle vor der Komplexität der geschilderten Sachverhalte kapituliert. Er bleibt stets klar,
präzise und verständlich. Auch hierfür, sehr geehrter
Herr Königshaus, möchte ich mich bei Ihnen und Ihren
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich bedanken.
(Beifall bei der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht des
Wehrbeauftragten für das Jahr 2013 dokumentiert einen
deutlichen Anstieg der Zahl der Eingaben gegenüber
dem Vorjahr – und das bei einem gleichzeitigen Rückgang der durchschnittlichen Personalstärke um knapp
7 Prozent. Betrachtet man nun die Entwicklung der Eingabezahlen als eine Art Pulsmesser, dann kann man nur
zu einem Schluss kommen: Die Bundeswehr befindet
sich zurzeit in heftigem Stress. Aber kann das angesichts
einer so ehrgeizigen und schwierigen Reform, wie sie
der Bundeswehr in diesen Jahren abgefordert wird, wirklich verwundern? Mir kommt das Unternehmen Strukturreform manchmal wie der Versuch vor, einem Viermaster auf hoher See und unter vollen Segeln einen
neuen Rumpf zu zimmern, und das aus Bordmitteln.
(Beifall bei der SPD)
2013 hat die heiße Phase bei der Umsetzung der Reform begonnen. Die neuen Strukturen wachsen auf, aber
die alten Aufgaben sind noch längst nicht vollständig abgewickelt. Das muss bei vielen Betroffenen zwangsläufig zu Enttäuschung, Verärgerung und dem Gefühl der
Überlastung führen. Ganz klar ist aber auch: Viele dieser
Probleme werden sich in einigen Jahren gar nicht mehr
stellen, weil sie unvermeidbare, aber vorübergehende
Begleiterscheinungen dieses Transformationsprozesses
sind. Dazu kommt, dass unsere Soldatinnen und Soldaten schon von Berufs wegen ein hohes Maß an Anpas-

(D)

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