1876
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014
Roderich Kiesewetter
(A)
Deshalb ist es unerträglich, dass Sie bei der Behandlung dieses Antrags nicht einmal auch nur in Ansätzen
über die Leistungen der NATO für die Befriedung Europas sprechen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich will sie
abschaffen!)
Sie sprechen es nicht an. Sie sprechen auch nicht an,
welche Verletzungen von russischer Seite begangen worden sind. Im Gegenteil, Sie verlangen, dass die NATO
aufgelöst wird, dass diejenigen, die sich sicher fühlen,
nicht mehr den Schutzrahmen haben, den wir brauchen.
Ich glaube, wir, die große demokratische Seite dieses
Parlaments – ich appelliere dabei auch sehr stark an die
Oppositionsfraktion Bündnis 90/Die Grünen –, sollten
uns bewusst sein, dass die Gräben zu solch einer Geschichtsauffassung viel zu tief sind, als dass wir es auch
nur einmal zulassen dürfen, dass die Linke Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland übernimmt.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Tobias
Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie
können als Politikberater bei uns anfangen!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir weisen
den Antrag zurück. Wir empfehlen, der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu folgen. Ich
bitte uns alle, die Entwicklungen in der NATO mit geschärfter Aufmerksamkeit zu begleiten, damit wir weiterhin ein starkes Bündnis für Sicherheit und Frieden in
Europa bleiben.
(B)
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Der Kollege Dr. Tobias Lindner hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Eine Debatte um das Thema, wie man mit dem
NATO-Bündnisfall, der vor 13 Jahren – Kollege Hitschler
und ich waren damals in einem Alter, in dem wir gerade
ans Abitur dachten – ausgerufen wurde, umgeht, ist immer ein Drahtseilakt, auf der einen Seite nicht zu staatstragend zu sein und auf der anderen Seite nicht zu sehr
über das Ziel hinauszuschießen.
Ich will eines vorwegschicken: Vor 13 Jahren hatten
wir es mit einer kollektiven Abwehr einer konkreten Bedrohung der Vereinigten Staaten von Amerika zu tun.
Ich hoffe, dass wir uns alle darin einig sind, dass diese
konkrete Bedrohung heute nicht mehr besteht. Ich habe
in dieser Debatte auch mit Freude vernommen, dass einige in der Koalition sagen, dies halte auch nicht mehr
als Begründung für Auslandseinsätze bzw. Missionen
her. Deswegen sind wir uns mit der Linken durchaus einig darin, dass man den NATO-Bündnisfall beenden
sollte.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(C)
Aber wenn wir darüber sprechen, auf welche Art und
Weise wir diese Beendigung erreichen sollen, dann will
ich es so formulieren: Man muss die Spielregeln ändern,
statt sie zu verletzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Aus Sicht meiner Fraktion stellt es eine Verletzung
der Spielregeln dar, wenn Deutschland jetzt unilateral
den Bündnisfall für beendet erklären würde.
(Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Deshalb fordern wir – bevor die Union in die Verlegenheit kommt, Beifall klatschen zu müssen – die Bundesregierung mit Nachdruck auf, sich für die Beendigung
des Bündnisfalls einzusetzen.
(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE
LINKE])
Ich will einen Schritt weitergehen. Wir müssen in diesem Parlament initiativ werden und darüber diskutieren,
wie wir Art. 5 des Nordatlantikvertrags weiterentwickeln können. Wir brauchen eine Antwort, wie wir,
wenn dieser Konsens nicht mehr gegeben ist, einen Mechanismus entwickeln können, der eine regelmäßige
Überprüfung des Bündnisfalls durch die Vertragspartner
ermöglicht und zu einer Beendigung führt, wenn eine
überwiegende Zahl der Staaten der Auffassung ist, dass
der Bündnisfall nicht mehr gegeben ist.
Liebe Kollegen von der Linken, wir werden uns bei
der Abstimmung über Ihren Antrag enthalten. Sie stellen (D)
eine Forderung auf, die wir schon in der letzten Legislaturperiode in Anträgen mehrfach erhoben haben, nämlich diesen Bündnisfall endlich zu beenden. Aber leider
schießen Sie aus unserer Sicht – wie so oft in der Verteidigungspolitik – über das Thema hinaus, indem Sie einen unilateralen Ausstieg aus dem Bündnisfall fordern.
Wir glauben nicht, dass dies möglich ist. Ich glaube auch
nicht, dass wir – es ist von der SPD-Fraktion durchaus
erwähnt worden – unsere Position, wenn es darum geht,
Spielregeln zu ändern und Mechanismen zu überarbeiten, dadurch stärken, dass wir unilateral an dieser Stelle
aussteigen.
Der NATO-Bündnisfall, die kollektive Verteidigung,
ist ein hohes Gut. Gerade deshalb muss man damit sorgsam umgehen. Man darf ihn nicht länger festgestellt lassen, als Gründe dafür vorhanden sind. Deshalb sollten
wir uns alle gemeinsam – die Bundesregierung vorweg –
bei der NATO spätestens auf dem Herbstgipfel endlich
für eine Beendigung des Bündnisfalls nach 13 Jahren
einsetzen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Julia
Bartz das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)