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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

Thomas Hitschler

(A)

Ein unilaterales Vorgehen, wie es in dem ursprünglichen Antrag gefordert wird, ist definitiv kein Weg, den
wir einschlagen können oder sollten. Wir müssen unsere
Allianzen wertschätzen und Partnerschaften pflegen;
denn die Zeiten sind offensichtlich noch nicht so weit,
wie wir das lange erhofft haben.
Nach einer Phase, in der ideologisch motivierte nichtstaatliche Akteure bestehende Sicherheitsstrukturen herausgefordert haben, deutet sich derzeit eine Rückkehr
zu – nennen wir es einmal so – klassischeren Szenarien
an. Staaten und Bündnisse werden anscheinend sicherheitspolitisch wieder eine zentrale Rolle einnehmen. Aus
diesem Grund werden wir auf absehbare Zeit weiter in
der NATO engagiert bleiben. Dazu gehört es, Strukturen
und Partner zu respektieren. Unsere Verbündeten müssen sich darauf verlassen können, dass Deutschland gegebene Zusagen einhält und übernommene Aufgaben erfüllt.
Mit dem Beitritt zu einem Bündnis bekennt man sich
zu den Werten dieses Bündnisses. Die NATO ist aus dem
Bedürfnis demokratischer Staaten entstanden, sich gegenseitig zu schützen und zu unterstützen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wo haben
Sie das gelernt?)
Aktuelle Entwicklungen lassen es so aussehen, dass sie
dieses Bedürfnis auch künftig erfüllen muss.

Die Mitgliedschaft in der NATO war für die Bundesrepublik auch eine Möglichkeit, einer Demokratie angemessene militärische Strukturen zu etablieren, die mit
(B) Verbänden anderer Nationen zusammenarbeiten können.
Ich kann Ihnen aus aktuellen Beobachtungen – ich war
vor kurzem in Afghanistan – berichten, dass diese Strukturen auch multinational hervorragend funktionieren und
so auch eine Art Friedensgarantie für alle darstellen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen
bei Abgeordneten der LINKEN)
Aus diesen Gründen werden wir die NATO-Mitgliedschaft auch weiterhin achten, und aus diesen Gründen
werden wir auch weiterhin vermeidbare Alleingänge unterlassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie, wie
bereits angekündigt, bitten, der Beschlussempfehlung
des federführenden Ausschusses zu folgen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Petra Pau:

Nun hat der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Danke sehr. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich verhehle überhaupt nicht, dass Sie in
einem Punkt völlig recht haben, Herr Hitschler. Wenn
Sie mir einen Mangel an Wertschätzung für das NATO-

Bündnis unterstellen, so stimmt das. Ich habe einen (C)
Mangel an Wertschätzung für dieses Bündnis. Ich hatte
die Hoffnung, dass sich nach der Auflösung des Warschauer Vertrages irgendwann einmal auch die NATO
auflöst.
(Beifall bei der LINKEN)
Das wäre eine Friedensdividende, die wir hätten einbringen können. Dort hätte eine deutsche Regierung Initiativen ergreifen müssen.
Das, was wir jetzt beantragen, ist relativ simpel – Sie
haben die drei Punkte schon sehr richtig genannt –:
Erster Punkt. Wir möchten, dass der NATO-Bündnisfall beendet wird. Das war ein Ausnahmerecht. Der
Bündnisfall ist ein einziges Mal in der Geschichte der
NATO ausgerufen worden – vor 13 Jahren. Ein Ausnahmerecht ist zum Dauerrecht gemacht worden. Das
spricht schon dafür, darüber nachzudenken, diesen
NATO-Bündnisfall jetzt endlich zu beenden.
(Beifall bei der LINKEN)
Dass auch die Bundesregierung darüber nachdenkt – ich
kenne ja die Papiere – finde ich völlig in Ordnung. Ich
bitte Sie: Denken Sie intensiver darüber nach und handeln Sie vor allen Dingen in dieser Richtung. Uns wäre
es am liebsten, wenn der NATO-Bündnisfall im NATORat auf Initiative der Bundesregierung beendet würde.
Falls nicht – das ist unser zweiter Punkt; er ist umstritten, und ich komme gleich noch darauf –, sollte die
Bundesrepublik Deutschland ihn einseitig als beendet er(D)
klären.
Dritter Punkt. Wir wollen, dass nicht weiterhin Einsätze damit begründet werden. Der NATO-Bündnisfall
war die Grundlage für den Krieg gegen den Terror. Oder
umgekehrt: Der Krieg gegen den Terror korrespondiert
mit dem NATO-Bündnisfall. Der Krieg gegen den Terror
ist unendlich gescheitert!
(Beifall bei der LINKEN)
Wir haben Ihnen immer wieder vorgetragen – da
werde ich auch nicht müde –, dass man den Terror bekämpfen kann, indem man seine Ursachen bekämpft.
Der Krieg gegen den Terror hat nur immer wieder Terror, Gewalt, Tod und Vernichtung ausgelöst; das ist doch
die Tatsache. Wenn man das nicht will, dann muss man
von dieser Grundlage weg. Wir werden sehen, dass der
Militäreinsatz in Afghanistan, den Sie so loben und den
ich so sehr kritisiere, dass dieser Krieg gegen den Terror
durch Verhandlungen beendet werden muss. Verhandeln
muss man mit seinen Feinden. Mit seinen Freunden
braucht man es meistens nicht zu tun, manchmal muss
man aber auch das.
Es bleibt der zweite Punkt – der ist umstritten, das
gebe ich Ihnen zu –: Wir sagen: Es muss das Recht eines
jeden Staates geben, für sich selbst festzustellen: Dieser
Punkt ist für uns erledigt. Die NATO hat den Bündnisfall
im Konsens beschlossen; anders kann sie das gar nicht
beschließen. Die NATO beruht auf Konsensentscheidungen. Wenn jetzt also ein Staat in den Verhandlungen, ob
der Bündnisfall fortgeführt wird, feststellt, dieser Kon-

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