Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014
1873
Vizepräsidentin Petra Pau
(A)
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Thomas Hitschler für die SPD-Fraktion.
Thomas Hitschler (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nachdem wir vor wenigen Wochen bereits
über den vorliegenden Antrag diskutiert und ihn zur weiteren Beratung in die zuständigen Ausschüsse überwiesen haben, beraten wir heute über die endgültige Beschlussempfehlung. Ich will zu dieser späten Stunde – es
ist Primetime, liebe Kolleginnen und Kollegen – die
große Überraschung vorwegnehmen: Ich werde Ihnen
am Ende meines Beitrages nahelegen, der Beschlussempfehlung des Ausschusses zu folgen.
(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Überraschung!)
– Ja, so ist es.
Lassen Sie uns aber den ursprünglichen Antrag noch
einmal anschauen. Die Kolleginnen und Kollegen der
Linken stellen drei Forderungen auf. Unter Punkt 1 fordern sie die Bundesregierung auf, sich auf der Ebene der
NATO-Mitgliedstaaten und des NATO-Rates dafür einzusetzen, den Bündnisfall zu beenden.
(Beifall bei der LINKEN)
– Warten Sie einmal! – Das ist mehr als zwölf Jahre nach
dessen Erklärung sicherlich nachvollziehbar. – Jetzt dürfen Sie.
(B)
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Es ist im Übrigen schon länger sozialdemokratische
Position, das deutsche Engagement in NATO-Missionen
auf eine andere Grundlage als den Bündnisfall zu stellen.
Dies hat die Bundesregierung anerkannt; auch sie hat
festgestellt, dass der Bündnisfall nicht mehr die richtige
Grundlage für laufende Operationen darstellt. Deswegen
hat sie im vergangenen Jahr zum Beispiel konkrete Änderungsvorschläge zum Operationsplan der Operation
Active Endeavour eingebracht. Im April wird dies in die
Beratungen zur Einsatzüberprüfung eingehen. Die Beschlussfassung wird voraussichtlich im Herbst stattfinden. Die deutschen Vorschläge an die NATO spiegeln im
Übrigen auch die Beschlusslage hier im Haus wider, getragen von einer großen Mehrheit, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
Erst vor wenigen Wochen haben wir hier im Plenum
und in den entsprechenden Ausschüssen über eine Änderung der Operationsgrundlage für OAE diskutiert. Teil
der im Antrag beschlossenen Neuausrichtung war, dass
sich die deutsche Beteiligung auf die Ständigen Maritimen Verbände der NATO im Mittelmeer, auf Aufklärungs- und Frühwarnflüge sowie den Austausch von Lagedaten beschränken wird. Im damaligen Antrag wurde
weiter angeführt – ich zitiere –:
Deutschland setzt sich im Bündnis kontinuierlich
dafür ein, die Einsatzgrundlagen von OAE auch
konzeptionell an die tatsächlichen Einsatzrealitäten
anzupassen. Auf deutsche Initiative hat der Nordatlantikrat im April 2013 die Option eröffnet, OAE
perspektivisch in eine Operation zu überführen, die (C)
sich nicht mehr auf Artikel 5 des Nordatlantikvertrages stützt.
Die Linke hat im Übrigen damals gegen den Antrag gestimmt, nicht sehr überraschend natürlich, aber ich darf
betonen: leider. Sie sehen, Kolleginnen und Kollegen der
Linken: Grundsätzlich ließe sich Ihrem Antrag bis hierhin durchaus etwas abgewinnen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Na,
prima!)
Sie haben es allerdings nicht bei einer Forderung belassen, sondern sind noch weiter gegangen. Unter
Punkt 2 fordern Sie, dass Deutschland den Bündnisfall
zur Not unilateral für beendet erklärt. Das ist eine – nennen wir es einmal so – kreative Idee. Die Möglichkeit
der einseitigen Entscheidung, den Bündnisfall nach
Art. 5 für beendet zu erklären, gibt es bei der NATO
nicht. Eine solche Entscheidung muss in den Gremien
des NATO-Rates im Konsens mit den übrigen Mitgliedern getroffen werden. Mehrere Partner, etwa die USA
und die Türkei, wollen das OAE-Mandat in seiner derzeitigen Form fortsetzen. Hier muss Überzeugungsarbeit
geleistet werden, was natürlich noch etwas dauern wird.
Durch unilaterale Erklärungen wird aber gar nichts erreicht werden. Ein einseitiges Vorgehen Deutschlands
liefe dem Konzept eines Verteidigungsbündnisses auch
grundsätzlich zuwider. Ein Bündnis, gerade eines zur
Verteidigung, funktioniert durch Einigkeit und durch
Geschlossenheit, wohlgemerkt: nie kritikfrei. Der Bündnisfall wurde gemeinsam festgestellt; folglich sollte er (D)
auch gemeinsam für beendet erklärt werden. Alles andere würde das Bündnis schwächen und das Vertrauen
unter den Mitgliedern unterminieren. Die Tatsache, dass
Sie im Begründungsteil des Antrages bestreiten, dass der
Bündnisfall je vorgelegen habe, ändert daran übrigens
nichts.
Mit der dritten Forderung in Ihrem Antrag führen Sie
diesen Gedanken sogar noch weiter. Danach soll die
Bundesregierung sämtliches Engagement in Missionen,
die auf Grundlage des Bündnisfalls begonnen wurden,
umgehend einstellen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über
Operationspläne, die mit monatelangem Vorlauf ausgearbeitet wurden. Operationen dieser Größenordnung setzen Verlässlichkeit der Bündnispartner voraus. Der
Antrag, über dessen Beschlussempfehlung wir heute abstimmen, drückt das Gegenteil davon aus: Er impliziert
einen Mangel an Wertschätzung gegenüber den Bündnispartnern und dem Bündnis. Diese Haltung Ihrer Seite
überrascht aber wenig.
Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihre grundsätzlich ablehnende Haltung zur NATO ist lange bekannt
und oft Thema in diesem Hause gewesen. Ich hoffe sehr,
dass irgendwann die Zeit kommt, in der Pazifismus, wie
Sie ihn vertreten, realistisch sein wird. Diesen Zeitpunkt
haben wir gegenwärtig aber noch nicht erreicht. Die aktuellen Ereignisse zeigen, dass sich Bündnisse, wie die
NATO eines ist, eben noch nicht überlebt haben.