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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Am 5. März 2014 hat das Sächsische Staatsministerium des Innern den Antrag für den Braunkohletagebau Nochten II genehmigt, damit das Kraftwerk
Boxberg noch bis Ende 2045 – wenn wir eigentlich
schon eine kohlenstoffarme Gesellschaft sein wollen –
Braunkohle verstromen kann. Dafür sollen 1 500 Menschen zwangsumgesiedelt werden. Ähnlich sieht es in
Brandenburg aus. Hier droht 1 700 Menschen die
Zwangsumsiedlung, um Kohle in einem der dreckigsten
Kraftwerke Europas ebenfalls bis Mitte der 2040er-Jahre
noch verstromen zu können.

Klimapolitisch ist das ein ziemlicher Hammer. Noch
schwieriger wird es aber, wenn man in diese Regionen
reist und in Dörfern mit Kirchen, die im 12. Jahrhundert
erbaut worden sind, erklären muss, auf welcher Rechtsgrundlage diese idyllische Landschaft eigentlich abgebaggert werden soll. Denn nicht nur, dass die Rechtsgrundlage für den Abbau von Bodenschätzen 150 Jahre
alt ist, nein, die entscheidende Regelung für die Zwangsumsiedlung stammt aus dem Jahr 1937. Obwohl wir
bekanntermaßen wirtschafts- und energiepolitisch seit
diesen Jahren einiges in unserer Gesellschaft verändert
haben, bedienen wir uns 2014, 2015, 2020 einer gesetzlichen Regelung, die eigentlich dazu gemacht war, den
ungehinderten Zugriff auf kriegswichtige Ressourcen zu
sichern, ohne dass man sich weiter um die Folgen für die
Betroffenen zu kümmern hätte. Das ist wirklich unerträglich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das sehen nicht nur wir so, meine sehr verehrten Damen und Herren; die Reformbedürftigkeit des Bundesberggesetzes sieht auch das Bundesverfassungsgericht.
So hat es am 17. Dezember letzten Jahres zum Tagebau
Garzweiler II geurteilt, dass zukünftig bei Genehmigungsverfahren der Interessenschutz von Betroffenen
stärker berücksichtigt werden muss, dass wir hier neue
rechtliche Grundlagen schaffen müssen.
Ich finde es ein ziemlich starkes Stück – das sage ich,
auch wenn bei diesem Thema vonseiten der Bundesregierung jetzt fast niemand mehr da ist
(Michael Brand [CDU/CSU]: Die Staatsministerin im Bundeskanzleramt!)
– eine Person –,
(Michael Brand [CDU/CSU]: Es sind mehr!)
dass auf die Frage meines Kollegen Oliver Krischer, wie
man denn nun im Lichte dieses Bundesverfassungsgerichtsurteils verfahren möchte, aus dem Wirtschaftsministerium lediglich die Antwort kam, beim Thema
Fracking wolle man aktiv werden – das ist auch gut so –,
aber was die Frage der Nutzungskonkurrenzen im Bergbau angehe, so plane man eine Verbesserung der Datengrundlage. Sorry, liebe Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat uns als Gesetzgeber gerade
ermahnt, Art. 14 des Grundgesetzes besser zu beachten,
und Sie wollen Daten sammeln! Das ist wirklich un-

glaublich. Das können wir als Parlamentarier so nicht (C)
hinnehmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In unserem Antrag fordern wir daher dazu auf, das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts ernst zu nehmen
und eine Novellierung des Bergrechts unverzüglich anzupacken, um die Belange der vom Bergbau Betroffenen
besser zu sichern.
(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Glück auf!)
– Ja, Glück auf! Ich hoffe, Sie arbeiten mit uns daran.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns noch in einer
anderen Frage ermahnt. Wir müssen die energiepolitischen Planungen auf Landesebene und auf Bundesebene
besser verknüpfen. Es gibt keine Antwort auf die Frage,
wie das passieren soll – schließlich ist es ja ein Gericht
und kein politischer Entscheidungsträger –, aber es wirft
die entscheidende Frage auf: Was ist eigentlich das öffentliche Interesse im 21. Jahrhundert? Ist energiepolitisch das öffentliche Interesse im 21. Jahrhundert dasselbe wie zu Kaisers Zeiten? Wir meinen, meine Damen
und Herren: Das ist es definitiv nicht. Es ist definitiv
nicht im öffentlichen Interesse im Jahr 2040, also zu
dem Zeitpunkt, zu dem wir klimapolitisch international
eigentlich eine Reduktion von CO2 um mindestens 80
Prozent erreicht haben wollen, noch Braunkohle verstromen zu wollen. Es kann auch nicht im Interesse der Bundesregierung sein, die sich international dazu verpflichtet hat, den Treibhausgasausstoß bis 2020 um 40 Prozent
zu reduzieren – auch wenn Sie von CDU und CSU nicht
glauben können, dass Sie selber das einmal wirklich mit (D)
beschlossen haben –, weiter daran festzuhalten, Braunkohle zu verstromen.
Schon heute – das hat die Bundesumweltministerin
bekannt gegeben – müssen wir jährlich mindestens
27 Millionen Tonnen CO2 mehr einsparen, um Ihre Ziele
für 2020 überhaupt noch erreichen zu können. Wie soll
das denn funktionieren, wenn wir ein Kraftwerk haben,
nämlich Jänschwalde – Herr Freese, Sie wissen bestens
Bescheid –,
(Michael Brand [CDU/CSU]: Der hört gar nicht
zu!)
aus dem jährlich 24 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen
werden? 27 Millionen Tonnen CO2 deutschlandweit einzusparen, wenn von einem Kraftwerk allein jährlich
24 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen werden, das passt
vorne und hinten nicht zusammen. Deswegen muss hier
der Gesetzgeber aktiv werden. Deswegen sagen wir klar
und deutlich: Die Kohle muss dort bleiben, wo sie ist:
unter der Erde. Dieser Bundestag muss Nein sagen zu
neuen Tagebauen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie könnten dann Vorreiter im internationalen Klimaschutz sein und sagen: Deutschland steigt aus der Braunkohleverstromung aus. – Dann bräuchten Sie sich auch
nicht hinter Polen oder anderen Ländern zu verstecken,
wenn Sie sagen, dass Sie in der EU ja leider nichts tun
können. Sie könnten also Vorreiter sein und dazu unse-

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