Zwar hat der Deutsche Bundestag am 16. Oktober 2014 (Plenarprotokoll 60. Sitzung, S. 5588) den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des ATDG (Bundestagsdrucksache 18/1565 vom 28.05.2014) beschlossen, der das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen soll. Meines Erachtens entspricht der Gesetzentwurf nicht den Vorgaben, die das Gericht in Bezug auf die Änderungen des ATDG erlassen hat. Insoweit bestehen gravierende Umsetzungsdefizite. Dies wurde auch in der zu diesem Gesetzentwurf am 22. September
2014 durchgeführten öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages deutlich.
Kritisch zu bewerten ist insbesondere der erfasste Personenkreis. Obgleich das Bundesverfassungsgericht die in
§ 2 Satz 1 Nummer 3 ATDG normierte Definition der Kontaktpersonen als verfassungswidrig bewertet hat,
taucht diese in dem beschlossenen Gesetzentwurf - wenn auch an anderer Stelle - unverändert wieder auf.
Erstaunlich und zu kritisieren ist zudem, dass die Bundesregierung unter Hinweis auf ihren Bericht zur Evaluierung des ATDG vom 7. März 2013 (Bundestagsdrucksache 17/12665) eine gänzlich neue, gravierende Befugniserweiterung (betreffend Analysen und Recherchen) vorgenommen hat (vgl. Bundestagsdrucksache 18/1565,
S. 10 f.). Damit wird der Charakter der Antiterrordatei entscheidend verändert. Die Datei ist damit nicht mehr
nur eine reine Nachweis- bzw. Hinweisdatei. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung jedoch auf
diese beschränkte Hinweisfunktion gestützt. Ohne diese Funktionsbeschränkung hätte das Gericht nicht nur Teile des ATDG, sondern u. U. das gesamte Gesetz als verfassungswidrig bewertet. Deswegen erstaunt es, wenn
die Bundesregierung ihr Vorgehen damit begründet, die bei der Evaluierung des ATDG befragten Nutzer hätten
diese Befugnis als „sinnvoll“ (Bundestagsdrucksache 18/1565, S. 12) erachtet. Dies reicht nicht aus. Jede neue
Befugnis muss - neben weiteren verfassungsrechtlichen Anforderungen - immer auch zwingend erforderlich
sein. Wünsche von Dateinutzern begründen keine verfassungsrechtliche Erforderlichkeit.
Kritisch sehe ich auch den Evaluierungsbericht der Bundesregierung. Denn zu einer wirksamen Evaluierung gehört auch die Prüfung und Beurteilung der Folgen bzw. Auswirkungen der Gesetzesregelungen auf die Grund rechte, insbesondere der unmittelbar betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Insoweit verweise ich z. B. auf den
von mir vorgestellten „Leitfaden zur Gesetzesevaluation“ (abrufbar auf meiner Internetseite unter www.datenschutz.bund.de). Dieser benennt auch weitere, essentielle Vorgaben für wirksame Evaluierungen. Selbst wenn
man diese unberücksichtigt ließe und die Bundesregierung an ihren eigenen Maßstäben messen würde, fehlt
eine hinreichende Prüfung zur Wahrung der Grundrechte. So weist die Bundesregierung in ihrem Evaluierungsbericht unter Punkt 4.3.1 (Wahrung der Grundrechte; grundrechtsrelevante Rückschlüsse aus den Evaluierungserkenntnissen - Bundestagsdrucksache 17/12665 (neu), S. 50) ausdrücklich auf Folgendes hin:
„Allerdings kann aus den empirisch ermittelten Nutzungszahlen, die gemäß der gewählten Methodik die Informationsbasis der vorliegenden Evaluierung sind, nicht zwingend die rechtliche Aussage zur Bemessung der verbundenen Grundrechtseingriffe abgeleitet werden. Insoweit wird die Nutzungshäufigkeit im Folgenden als ein
Kriterium für die Einschätzung der Intensität eines Grundrechtseingriffs herangezogen; die Auseinandersetzung
mit qualitativen Aspekten geht über den Fokus dieser Evaluierung hinaus. Daher sieht das zwischen BMI und
BMJ abgestimmte Untersuchungsdesign ein Zweitgutachten mit eben dieser rechtswissenschaftlichen Ausrichtung vor.“
Dieses Zweitgutachten existiert nicht. Damit fehlt die zentrale Grundlage, um die Wahrung der Grundrechte zu
beurteilen - und damit eine essentielle Voraussetzung für jede wirksame Evaluierung. Der Evaluierungsbericht
der Bundesregierung ist daher eine fragwürdige Legitimation zur Änderung des ATDG.
Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht weit reichende, über das ATDG hinausgehende grundsätzliche
Aussagen zur Bedeutung, Funktion und Ausgestaltung der datenschutzrechtlichen Aufsicht getroffen und dem
Gesetzgeber eindeutige Vorgaben gemacht:
„Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung können (…) auch dann unverhältnismäßig sein,
wenn sie nicht durch ein hinreichend wirksames aufsichtsrechtliches Kontrollregime flankiert sind. Dies hat
BfDI 25. Tätigkeitsbericht 2013-2014
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