de Gesetzentwurf setzt die Anforderungen an die Grenzen der Verwendungsbefugnis der gespeicherten Daten
wie auch die Ausgestaltung der technisch-organisatorischen Maßnahmen nur unzureichend um.
Zwei unterschiedliche Speicherformen bestimmen bislang die Praxis der Datenverarbeitung: Auf der einen Seite
gibt es die herkömmlichen Akten. Sie dienen vor allem dazu, das behördliche Vorgehen zu dokumentieren und
die jeweiligen Einzelfälle zu bearbeiten. Die Akten sind das „Verwaltungsgedächtnis“. Auf der anderen Seite
verfügen die Ermittlungsbehörden über automatisierte Dateisysteme zur vorbeugenden Gefahrenabwehr. Damit
können sie umfassend und schnell auf Daten aus verschiedensten Verfahren und Zusammenhängen zugreifen,
diese recherchieren und abgleichen. Dafür müssen sie aber bei den automatisierten Systemen höhere Schwellen
beachten. Mit der elektronischen Akte verschwimmt diese Differenzierung.
Die beiden „Pole“ hat das Bundesverfassungsgericht schon im Volkszählungsurteil einander gegenübergestellt.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedürfe „unter den heutigen und künftigen Bedingungen der
automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes“. Dieses Recht „ist vor allem deshalb gefährdet, weil bei Entscheidungsprozessen nicht mehr wie früher auf manuell zusammengetragene Karteien und
Akten zurückgegriffen werden muss, vielmehr heute mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person (…) technisch
gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar
sind.“ Es besteht die Gefahr, Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammenzuführen (BVerfGE 65, 1, 42).
Diese vom Gericht bereits 1983 beschriebenen Möglichkeiten und Gefahren sind heute realer denn je. In der
Praxis verwenden vor allem die Polizeibehörden Daten aus Strafverfahren über das jeweilige Verfahren hinaus.
Dazu haben sie umfassende Dateisysteme errichtet. Die Daten werden nicht nur in den polizeilichen Informationsverbund (INPOL) gespeichert. Die Daten fließen darüber hinaus in viele weitere Einzeldateien (z. B. Zentraldateien oder Arbeitsdateien in Bund und Ländern). Hinzu kommen geplante neue Informations- und Analyseverbünde. Diese sollen sehr große Datenbestände aufnehmen. Mit ihnen sind umfassende Auswertungen und
Analysen denkbar. Die Polizeibehörden übermitteln zudem Daten an Nachrichtendienste oder richten gemeinsame Dateien und Zentren mit ihnen ein. Für die bisher bestehenden Dateien hat der Gesetzgeber deshalb Grenzen
gesetzt. Dies gilt zumindest für die Frage, welche Daten überhaupt dateimäßig erfasst werden dürfen. So ist
nach § 8 Absatz 2 des Bundeskriminalamtgesetzes bzw. nach § 484 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO)
eine sog. Negativprognose notwendig, wenn die Ermittlungsbehörde etwa Daten in eine Kriminalakte oder in
INPOL aufnimmt (vgl. Nr. 5.13.1und 5.13.3). Nur dann dürfen die Daten für künftige Strafverfahren zur Verfügung stehen.
Diese Begrenzungen darf der Gesetzesentwurf (abrufbar auf der Internetseite des BMJV unter
www.bmjv.bund.de) nicht aushöhlen. Das wäre jedoch der Fall, wenn die elektronische Akte umfassend elek tronisch recherchierbar und auswertbar wäre und die Daten ohne weiteres in andere Verfahren überführt werden
könnten. Die allgemeinen Datenschutzbedingungen und die entsprechenden der StPO sollen offenbar nicht gelten. Das ist jedenfalls der Formulierung zu entnehmen, die elektronische Akte sei keine „Datei“. Der Entwurf
sieht dafür vor, dass der automatisierte Datenabgleich nur mit „zuvor individualisierten Akten“ durchgeführt
werden darf. Nach welchen Kriterien dies geschehen soll, wird nicht geregelt. Zudem enthält der Entwurf keine
Begrenzungen für den Abfluss dieser erstmals vollständig elektronisch erfassten personenbezogenen Daten in
andere automatisierte Verfahren - etwa die genannten Informationsverbünde.
Unklar ist nach dem Entwurf auch, wie das praktische Umfeld auszugestalten ist. So stellt sich etwa die Frage,
welche Stelle die Akten faktisch führen wird. In der Papierwelt heftet häufig der bearbeitende Kriminalbeamte
die Akte zusammen und sendet sie an die Staatsanwaltschaft. Diese entscheidet über den weiteren Fortgang und
leitet die Akte an das Gericht weiter. Daher ist zu klären, ob der Gesetzentwurf dieses Verfahren auch elektronisch abbilden kann und will. Daran knüpfen sich aber weitere Fragen, beispielsweise:
BfDI 25. Tätigkeitsbericht 2013-2014
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