Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

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Drucksache 18/12585

VIII. Sondervotum des Abgeordneten Dr. André Hahn
gemäß § 10 Abs. 2 PKGrG
(31. Mai 2017)
Als stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) und auch als einer der vier
benannten Berichterstatter habe ich den vom Ständigen Bevollmächtigten vorgelegten Bericht zu Anis Amri, dem
Weihnachtsmarkt-Attentäter von Berlin, aus mindestens zwei zentralen Gründen nicht mittragen können und kann
deshalb auch der nunmehr vorliegenden Unterrichtung durch das PKGr nicht zustimmen.
Erstens: Der Bericht ist an ganz entscheidenden Stellen unvollständig und daher nur bedingt bzw. gar nicht geeignet, die Vorgänge um den Anschlag, durch den zwölf Menschen ums Leben kamen und dutzende zum Teil
schwer verletzt wurden, umfassend aufzuklären.
Das liegt insbesondere daran, dass dem Parlamentarischen Kontrollgremium von den Behörden in NordrheinWestfalen so gut wie keine Unterlagen übergeben wurden, weder vom Landeskriminalamt, noch von der Justiz
und auch nicht vom Landesamt für Verfassungsschutz. Von daher war es objektiv unmöglich, ein wirklich umfassendes Bild der Geschehnisse sowie vom Tun oder Unterlassen staatlicher Behörden im Fall Amri zu erlangen.
Anders als auf Seite 2 der vorgelegten Unterrichtung ausgeführt, wäre es zwingend erforderlich gewesen, dem
PKGr auch die Unterlagen aus Berlin und Nordrhein-Westfalen vorzulegen.
Zweitens: Der Bericht, auf den ab Seite 20 der Unterrichtung verwiesen wird, ist über weite Teile schönfärberisch
und suggeriert, dass die zuständigen Behörden fast alles richtig gemacht hätten. Das war ganz offenkundig nicht
der Fall.
Es gab schwere Pannen, Versäumnisse und Fehlentscheidungen, die im Bericht und auch in der Bewertung des
Kontrollgremiums nur unzureichend oder gar nicht zur Sprache kommen.
Immer dann, wenn es um strittige oder höchst fragwürdige Entscheidungen geht, wird mir von den Verfassern
des Berichtes eindeutig zu viel Verständnis geäußert. So heißt es gleich mehrfach: Hier wären womöglich weitere
Ermittlungsschritte angezeigt gewesen, oder dort hätte eventuell auch noch eine andere Option bestanden, z. B.
für ein eigenständiges Agieren des Bundesamtes für Verfassungsschutz, aber dann wird mit Blick auf die Erklärungen oder Ausflüchte der Behörden immer wieder geschrieben, diese seien angeblich nachvollziehbar. Ich will
hier ganz klar sagen: Diese Bewertung teile ich ausdrücklich nicht!
Die zuständigen Behörden auf Bundes- und Länderebene tappten teilweise völlig im Dunkeln und haben an vielen
Stellen versagt.
Das betrifft insbesondere die völlig falsche Einschätzung der tatsächlichen Gefahr, die von Amri ausging, und
das, obwohl es dokumentierte Einschätzungen gab, nach denen Amri brandgefährlich sei und man davon ausgehen
müsse, dass er seine Anschlagsplanungen in Deutschland ausdauernd und langfristig verfolgen wird. Selbst als
aus Kommunikationsüberwachungen hervorging, dass er hoffe, seine Brüder bald „im Paradies“ wiederzusehen,
gab es keine adäquaten Gegenmaßnahmen und insbesondere keine durchaus möglichen strafrechtlichen Konsequenzen.
Doch selbst neben der möglichen Verfolgung der Vorbereitung von Anschlägen und offenkundig beabsichtigten
Gefährdungen von Leib und Leben durch die Vorbereitung zur gezielten Tötung von Menschen hätte es eine
Vielzahl von strafrechtlichen Möglichkeiten gegeben, Amri aus dem Verkehr zu ziehen. Schließlich gab es bei
sieben Staatsanwaltschaften und beim Generalbundesanwalt mehr als ein Dutzend Ermittlungsverfahren gegen
den späteren Attentäter. Die Frage, warum offenbar niemand auf die Idee kam, ein Sammelverfahren durchzuführen, das Amri für seine diversen Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit für Jahre hinter Gittern gebracht hätte,
ist bis heute nicht beantwortet.
Und man fragt sich natürlich auch, wie es sein kann, dass im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum etliche Male
über Amri und dessen Gefährlichkeit gesprochen wurde, ohne dass irgendwelche konkreten Maßnahmen vereinbart oder gar tatsächlich eingeleitet wurden.
Schließlich ist völlig ungeklärt und eben auch alles andere als nachvollziehbar, wie es möglich war, dass Amri ab
September 2016 fast vollständig vom Radar aller zuständigen Behörden verschwinden konnte und offenbar auch
niemand ernsthafte Bemühungen unternommen hat, um ihn aufzufinden und festzunehmen, um ihn anzuklagen
oder wenigstens nach Tunesien zurückzuführen. Dafür hätte es etliche Anknüpfungspunkte gegeben, um die sich
– zumindest nach Aktenlage – keiner wirklich gekümmert hat.

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