Drucksache 18/12585
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
können, verbunden mit einer Herunterstufung des Gefährdungssachverhaltes auf 7 von 8 bzw. 8 von 8. Dies ist
nicht geschehen. Die Herunterstufung auf 7 von 8 hätte die Maßnahmenreduktion plausibler erscheinen lassen.
Die Maßnahmenreduktion bei einem Sachverhalt, der formal noch bei 5 von 8 lag, ist hingegen wenig nachvollziehbar.
Die polizeiliche Bewertungssystematik, die sich lediglich auf die Gefährlichkeit von Sachverhalten und
nicht von Personen bezieht, führte zu einer falschen Einschätzung der von AMRI ausgehenden Gefahr.
AMRI als sehr gefährlich einzuschätzen, war auf Basis der vielfältigen vorliegenden Informationen zwingend. Umso unverständlicher ist, dass seine Handlungsspielräume, insbesondere nach Einstellung der
Überwachungsmaßnahmen ab dem 21. September 2016, nicht konsequenter eingeschränkt wurden. AMRI
wurde, selbst nachdem seine tunesische Staatsangehörigkeit am 24. Oktober 2016 zweifelsfrei festgestellt
wurde, nicht in Abschiebehaft genommen.
Das System der Gefährdungsbewertung, also die Bewertung lediglich der Wahrscheinlichkeit der Durchführung eines Anschlagsplans, greift zu kurz und ist weiterzuentwickeln: Die persönliche Gefährlichkeit
des Verdächtigen muss systematisiert bewertet und in die Gefährdungseinschätzung wesentlich stärker
einbezogen werden. Ein einheitliches Vorgehen bei der Behandlung von Gefährdern – also die koordinierende Steuerung von Informationen und Maßnahmen – ist notwendig. Zudem bedarf es bundesweit einheitlicher Instrumente für den Umgang mit Gefährdern. Die einheitliche Behandlung von Gefährdern wird
auch eine engere Einbindung von Justiz und Ausländerbehörden erfordern.
AMRI hielt sich schwerpunktmäßig in verschiedenen Städten in Nordrhein-Westfalen und Berlin auf. Er
reiste aber auch durch andere Bundesländer. Eine solche Mobilität darf nicht zu wechselnden polizeilichen
Federführungen und den damit verbundenen Reibungsverlusten führen. Im Fall von AMRI hätte zudem
die Mobilität frühzeitig eingeschränkt werden können und müssen.
V.
Kenntnislage und Tätigwerden des BfV
Im Januar 2016 erhielt das BfV im Zuge der Erstellung eines Behördenzeugnisses erstmalig konkrete Kenntnis
über AMRI. Das Behördenzeugnis wurde durch das BfV zur Verschleierung des Hinweisgebers des LKA Nordrhein-Westfalen erstellt und sollte den Berliner Behörden zur Einleitung eines Strafverfahrens dienen. Es enthielt
Informationen der nordrhein-westfälischen Behörden über AMRI – unter anderem über Einreise, Aufenthaltsorte
und Kommunikationsmittel. Im Behördenzeugnis wurde die Absicht AMRIs dargestellt, islamistisch motivierte
Anschläge mit Kalaschnikows zu begehen. Diese Waffen wollte AMRI über einen Kontaktmann in der französischen Islamistenszene beschaffen. Dazu plante er – zusammen mit zwei Personen – einen Einbruchdiebstahl. Im
Haus des Opfers sollten sich 200.000 Euro Bargeld und mehrere Kilo Goldschmuck befinden. Das Behördenzeugnis war Grundlage für die erste Befassung des GTAZ mit AMRI.
Bei einem Aufgriff AMRIs am 18. Februar 2016 durch die Polizei Berlin wurde ein gestohlenes Mobiltelefon
sichergestellt. In der Folge erhielt das BfV – neben mehreren Polizeibehörden – die ausgelesenen Telefoninhalte.
Das BfV wertete diese, insbesondere die Bilder für seine Arbeit aus. Die Auswertung ergab auch Kontaktdaten
von Personen der islamistischen Szene sowie ausländische Telefonnummern, die nicht näher zugeordnet werden
konnten. Die Auswertung zahlreicher Chats in arabischer Sprache unterblieb in der Annahme, dass die ermittlungsführenden Polizeibehörden das Mobiltelefon einer intensiven Analyse unterziehen würden. Eine Übermittlung der Auswerteergebnisse durch die Polizeibehörden an das BfV erfolgte nicht. Das BfV befragte im Februar/März 2016 Quellen in Berlin und Nordrhein-Westfalen zu AMRI und seinem Umfeld. Die Befragungen
erbrachten keine relevanten Informationen zu AMRI selbst. Erst bei einer Befragung nach dem Anschlag erkannte
eine Quelle AMRI.
Im November 2016 stellte das BfV eine Erkenntnisanfrage zu AMRI an einen ausländischen Nachrichtendienst.
Hintergrund war eine Absprache im GTAZ, wonach das BfV zu den Erkenntnisanfragen aus Marokko dort rückfragen sollte. Unklar geblieben ist, aus welchem Grund das BfV diesen Auftrag erhielt, zumal dem BfV lediglich
eine zusammenfassende Darstellung des BKA zu den marokkanischen Anfragen und nicht die Originalmeldungen
vorlagen. Eine Nachfrage durch das direkt befasste BKA oder den BND, dem die Originaldokumente ebenfalls
vorlagen, wäre naheliegender gewesen. Das BfV fragte nicht in Marokko, sondern bei einem anderen AND an,
von dem es ein schnelleres Antwort-Zeitverhalten erwartete. Weder eine zeitnahe Antwort noch ein weiteres
Nachfassen durch das BfV erfolgten.