Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
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er Prüfaufträgen in angemessener Zeit nachkommen
kann. Zwar kann es in Einzelfällen notwendig sein, einen
externen Gutachter heranzuziehen. Dies hat allerdings
durch den MDK zu geschehen (§ 279 Absatz 5 Satz 1
2. Halbsatz SGB V), mit der Folge, dass die Gutachten an
den MDK und nicht an die gesetzliche Krankenkasse zu
erstatten sind. Sie unterliegen auch den Vorgaben des
§§ 275 ff. SGB V. Eine Beauftragung von externen medizinischen Gutachtern durch die gesetzlichen Krankenkassen führt dagegen zur Umgehung dieser gesetzlichen Regelungen.
11.1.8
Rechtfertigt das „Krankenfallmanagement“ die Erhebung
zusätzlicher Daten?
Arbeitsunfähige Versicherte werden von gesetzlichen
Krankenkassen unzulässig ausgefragt – bisweilen wird
versteckt mit Leistungsverweigerung oder -entzug gedroht.
In den vergangenen Monaten wurde in der Presse immer
wieder kritisiert, dass gesetzliche Krankenkassen umfassend Daten über solche Versicherte erheben, die längere
Zeit arbeitsunfähig sind oder bereits Krankengeld erhalten. Zu diesem Thema haben mich auch zahlreiche Eingaben erreicht. Danach rufen Krankenkassen Versicherte
– teilweise wöchentlich – an, machen Hausbesuche oder
nehmen Kontakt zu Arbeitgebern auf. Auch mit so genannten „Selbstauskunftsbogen“ erheben Krankenkassen
beim Versicherten zusätzliche Daten. Die detaillierte Erhebung von Gesundheitsdaten rechtfertigten sie mit der
Prüfung von Krankengeldansprüchen oder mit der Absicht, zur Genesung beizutragen.
Ein Versicherter hat mir Folgendes berichtet: Die Krankenkasse habe sich im Rahmen des Fallmanagements
schriftlich an den Arbeitgeber gewandt und diesen gebeten, dem Versicherten eine andere Beschäftigung anzubieten, da dieser aufgrund seiner Erkrankung seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben könne. In dem
Schreiben an den Arbeitgeber wurde aus dem Gutachten
einer Reha-Klinik und aus dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zitiert.
Der Versicherte fürchtet nun um seinen Arbeitsplatz.
Als gesetzliche Grundlage für diese Datenerhebung wurden mir wiederholt die Umsetzung der gesetzlichen Ansprüche von Versicherten auf ein Versorgungsmanagement nach § 11 Absatz 4 SGB V und auf Leistungen zur
Teilhabe nach § 4 SGB IX genannt. Diese Regelungen
sind aber ohne weitere gesetzliche Detailregelungen aus
datenschutzrechtlicher Sicht nicht tragfähig, da sie keine
Befugnisse zur Erhebung und Speicherung von Sozialdaten enthalten.
Selbstauskunftsbogen
In meinem 21. TB (Nr. 13.1.3) habe ich mich dazu bereits
ausführlich geäußert. Das Erheben und Verarbeiten von Sozialdaten durch Krankenkassen mittels „Selbstauskunftsbogen“ ist weder bei Versicherten noch bei deren Ärzten zulässig. Zur Erhebung der damit abgefragten Sozialdaten
Drucksache 17/13000
ist weitgehend der MDK im Rahmen seiner gesetzlichen
Aufgabenerfüllung berechtigt. Die Krankenkassen dürften allenfalls um die Übermittlung dieser Daten an den
MDK bitten.
Meine Rechtsauffassung wird vom Bundesversicherungsamt (BVA) und dem BMG geteilt. Dass einige Krankenkassen ungeachtet dessen an ihrer Verfahrensweise festhalten, wurde mir unverhohlen damit begründet, in meinem
Tätigkeitsbericht würden datenschutzrechtliche Verstöße
ohne Nennung des Namens der betroffenen Krankenkasse
dargestellt, die Versicherten und die Öffentlichkeit würden
also nicht erfahren, wie eine bestimmte Kasse mit den Sozialdaten ihrer Versicherten umginge. Ich möchte deshalb
von dieser Praxis abweichen. Negativ aufgefallen sind
mir in Sachen Selbstauskunftsbogen in letzter Zeit die
folgenden Kassen: Deutsche BKK, KKH, IKK classic,
SBK Siemens-Betriebskrankenkasse.
Positiv möchte ich vermerken, dass sich einige Kassen
ausdrücklich von diesem Verfahren distanzieren, etwa die
Audi-BKK (s. u.), BKK Mobil Oil, pronova BKK, BKK
firmus, SECURVITA BKK.
Versicherte, die länger arbeitsunfähig sind und an die ggf.
ein Krankengeld auszuzahlen ist, erhalten von einigen
Krankenkassen ein Anschreiben mit allgemeinen Informationen und mit der Bitte um „Mithilfe“. Um Krankengeldansprüche prüfen zu können, sollen beigefügte Formulare ausgefüllt zurückgesandt werden. Es handelt sich
dabei um „Selbstauskunftsbogen“ sowie um Vordrucke
für Einwilligungen dazu, der Krankenkasse ausführliche
medizinische Untersuchungsberichte zur Verfügung zu
stellen. Gegenüber den Versicherten wird der Eindruck
erweckt, dass die Angaben gemacht werden müssen, um
die gesetzliche Leistung Krankengeld erhalten zu können.
Datenschutzrechtlich ist diese Vorgehensweise aus mehreren Gründen unzulässig: In den Fällen des § 275 Absatz 1 und 2 SGB V, z. B. bei Arbeitsunfähigkeit, sind die
Krankenkassen verpflichtet, den MDK mit einer Begutachtung bzw. Prüfung zu beauftragen. Es besteht jedoch
keine Befugnis der Kasse, zusätzliche Daten zur Arbeitssituation oder zur Gesundheit zu erheben, die mit der Prüfung der Leistungsvoraussetzungen nicht in Zusammenhang stehen. Ausschließlich der MDK ist gesetzlich
befugt, weitergehende Daten zu erheben oder zu verarbeiten, sofern dies im konkreten Einzelfall erforderlich ist
(§ 276 Absatz 2 Satz 1 erster Halbsatz SGB V). Dies verdeutlicht die Regelung des § 277 Absatz 1 Satz 1 SGB V,
wonach der MDK der jeweiligen Krankenkasse lediglich
das Ergebnis der Begutachtung mitteilen darf.
Dementsprechend sind vorformulierte Schweigepflichtentbindungserklärungen in Selbstauskunftsbogen, nach
denen sämtliche ärztliche Unterlagen an die Krankenkasse herausgegeben werden dürfen, mit dem geltenden
Recht nicht vereinbar. Diese Beschränkung der Krankenkassen verdeutlicht auch die Regelung des § 275 Absatz 1a Satz 4 SGB V. Danach können die Krankenkassen
von einer Beauftragung des MDK nur absehen, wenn sich
die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit eindeutig aus den der jeweiligen Krankenkasse vor-
BfDI 24. Tätigkeitsbericht 2011-2012