Drucksache 17/13000
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grund der NSU-Ereignisse Beschlüsse zur Reform bzw.
Neuausrichtung des Verfassungsschutzes gefasst. So soll
ein verpflichtender wechselseitiger Informationsaustausch zu schnelleren und besseren Ergebnissen bei der
Bekämpfung von Extremisten führen. Die Landesverfassungsschutzbehörden (LfV) müssen künftig unverzüglich
alle relevanten Informationen an den Bund übermitteln.
Das BfV koordiniert diesen Informationsfluss und unterrichtet seinerseits die LfV über relevante Erkenntnisse
und Ergebnisse eigener Informationsauswertungen. Zudem sollen V-Leute nur noch nach bundesweit einheitlichen Standards eingesetzt und in einer zentralen Datei
gespeichert werden. Auf diese Weise sollen die Verfassungsschutzbehörden untereinander wissen, wer welche
V-Leute führt. Gewährleistet werden sollen auch eine umfassende parlamentarische Kontrolle sowie mehr Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit.
Vorschläge der Fraktionen
Die Fraktionen des Deutschen Bundestages haben ebenfalls Reformvorschläge entwickelt. Von zentraler Bedeutung ist hierbei die Stärkung der parlamentarischen
Kontrolle. So soll beispielsweise das Parlamentarische
Kontrollgremium des Deutschen Bundestages (PKGr),
das die Nachrichtendienste des Bundes umfassend kontrolliert, nach Auffassung der Fraktionen von CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestärkt werden.
Die CDU/CSU-Fraktion befürwortet die Einsetzung eines
Nachrichtendienstbeauftragten.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN plädiert zudem für eine Stärkung der Datenschutzkontrolle als zentrales Element der Kontrolle der Nachrichtendienste. Dies
begrüße ich.
Kontrollkompetenzen
Ebenso wie das PKGr kontrolliere auch ich die Nachrichtendienste des Bundes, jedoch nur, soweit diese personenbezogenen Daten erheben oder verwenden. Bedauerlicherweise musste ich den Aufsichtsbehörden und dem
Deutschen Bundestag wiederholt berichten, dass ich
meine Kontrollen (teilweise) nicht bzw. nicht effizient
durchführen konnte. Ursachen hierfür waren geltend gemachte Quellenschutzerwägungen, der vermeintliche
Schutz anderer Nachrichtengeber (z. B. ausländischer
Nachrichtendienste) sowie das (teilweise) Bestreiten meiner Prüfkompetenz (vgl. 23. TB Nr. 7.1.6).
Gravierende Kontrolllücken ergeben sich in der Praxis
auch aus den unterschiedlichen Kompetenzen der Kontrollorgane (G 10-Kommission des Deutschen Bundestages, PKGr und meine Behörde). So ist z. B. die G 10Kommission allein zuständig für die Kontrolle der personenbezogenen Daten, die nach dem Artikel 10-Gesetz
(G 10) erhoben worden sind. Dadurch entsteht faktisch
ein kontrollfreier Raum – und zwar generell in allen Fällen, in denen G 10-Erkenntnisse (teilweise) zur Legitimierung von nachrichtendienstlichen Maßnahmen dienen
und mir die Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen gesetzlich zugewiesen ist (vgl. Nr. 7.7.2).
BfDI 24. Tätigkeitsbericht 2011-2012
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Lösbar ist dieses Problem durch eine gesetzliche Klarstellung in Artikel 15 Absatz 5 G 10 oder § 24 Absatz 4 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Dort könnte geregelt
werden, dass ich für meine Kontrollen auch G 10-Erkenntnisse einsehen darf. Die Kompetenz der G 10-Kommission bliebe unberührt. Sie wäre weiterhin allein berechtigt, die Beachtung der Vorgaben des G 10 zu prüfen.
Gemeinsames Abwehrzentrum
Bereits wenige Wochen nach Bekanntwerden der Straftaten des NSU hatte der Bundesminister des Innern am
16. Dezember 2011 als Konsequenz dieser Ereignisse das
„Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus“ (GAR) eröffnet. Dieses ist keine neue Behörde.
Ebenso wie das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum
(GTAZ – vgl. 21. TB Nr. 5.1.4) ist es eine Informationsund Kommunikationsplattform. Dort tauschen die Experten der beteiligten Behörden zur Abwehr des Rechtsextremismus/-terrorismus bzw. der politisch motivierten
Kriminalität (PMK-rechts) ihre Informationen in verschiedenen Arbeitsgruppen aus. Dabei arbeiten sie nach
den für sie jeweils geltenden Aufgaben und Befugnissen.
Auf diese Weise soll das Fachwissen der Behörden gebündelt und ein möglichst lückenloser und schneller Informationsfluss gewährleistet werden. Beteiligt am GAR
sind auf Bundesebene das Bundeskriminalamt, das BfV,
der Bundesnachrichtendienst, die Bundespolizei, der Generalbundesanwalt und der Militärische Abschirmdienst.
Teilnehmer auf Landesebene sind die Landeskriminalämter sowie die LfV. Ebenfalls beteiligt ist das Europäische
Polizeiamt (Europol).
Im November 2012 hat das „Gemeinsame Extremismusund Terrorismusabwehrzentrums (GETZ)“, in dem das
GAR aufgegangen ist, seine Arbeit aufgenommen. Sitz
des GETZ sind die Standorte des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Bundeskriminalamtes in Köln und
Meckenheim. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden ist dadurch weiter ausgebaut worden. Sie beschränkt
sich nicht mehr auf den Bereich des Rechtsextremismus
und -terrorismus. Das GETZ fungiert als eine Informations- und Kommunikationsplattform zur Abwehr aller
Arten des Extremismus und Terrorismus.
Reaktion der Datenschutzbeauftragten
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes
und der Länder hat in ihrer Entschließung vom November 2012 (vgl. Kasten zu Nr. 7.7.6) darauf hingewiesen,
dass eine Reform der Sicherheitsbehörden nur nach einer
gründlichen Aufklärung der Ursachen und Fehlentwicklungen erfolgen darf. Bei diesen Untersuchungen ist zu
berücksichtigen, dass bereits weitgehende gesetzliche
Pflichten und Berechtigungen für umfassende Datenübermittlungen innerhalb der Polizeien und Nachrichtendienste sowie zwischen diesen Behörden existieren.
Vollzugsdefizite aufgrund fehlender Kenntnis oder Nichtbeachtung dieser Vorschriften sowie Mentalitätsprobleme
bei MitarbeiterInnen der Sicherheitsbehörden können
neue Gesetze oder Dateien nicht beseitigen. Hierfür bedarf es anderer Maßnahmen, insbesondere effizienter
Kontrollen.