Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

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Drucksache 16/12600

– Für die sog. Funkzellenabfrage, die alle Telefonverbindungen im Bereich einer oder mehrerer Funkzellen erfasst,
sollten klare und detaillierte Regelungen mit engeren Voraussetzungen normiert werden. Diese sollten vorsehen,
dass im Rahmen einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung die Anzahl der durch die Maßnahmen betroffenen
unbeteiligten Dritten berücksichtigt und die Maßnahme auf den räumlich und zeitlich unbedingt erforderlichen
Umfang begrenzt wird. Die Unzulässigkeit der Maßnahme zur Ermittlung von Tatzeuginnen und Tatzeugen sollte
ins Gesetz aufgenommen werden.
– Die aufgrund einer Anordnung der Staatsanwaltschaft bei Gefahr in Verzug erlangten Daten dürfen nicht verwertet werden, wenn die Anordnung nicht richterlich bestätigt wird. Dieses Verwertungsverbot darf nicht – wie im
Entwurf vorgesehen – auf Beweiszwecke begrenzt werden.
– Art und Umfang der Begründungspflicht für den richterlichen Beschluss der Anordnung der Telekommunikationsüberwachung sollte wie bei der Wohnraumüberwachung im Gesetz festgeschrieben werden. Im Sinne einer
harmonischen Gesamtregelung sollten darüber hinaus qualifizierte Begründungspflichten für sämtliche verdeckte
Ermittlungsmaßnahmen geschaffen werden.
– Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes ist sicherzustellen, dass sämtliche Personen, die von heimlichen Ermittlungsmaßnahmen betroffen sind, nachträglich von der Maßnahme benachrichtigt werden, soweit
diese bekannt sind oder ihre Identifizierung ohne unverhältnismäßige weitere Ermittlungen möglich ist und nicht
überwiegende schutzwürdige Belange anderer Betroffener entgegenstehen. Darüber hinaus sollte bei Massendatenerhebungen über eine ergänzende Benachrichtigung durch eine öffentliche Bekanntmachung der Maßnahme
nachgedacht werden.
– Die für die Telekommunikationsüberwachung vorgesehenen Berichts- und Statistikpflichten sollten um Angaben
zur Dauer der Überwachung, zur Anzahl der Gespräche und zur Benachrichtigung Betroffener ergänzt werden.
– Die im Entwurf enthaltenen erweiterten Eingriffsgrundlagen sollten befristet und einer unabhängigen, gründlichen
und wissenschaftlich unterstützten Evaluation unterzogen werden.

K a s t e n b zu Nr. 5.1
Entschließung der 76. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
am 6./7. November 2008
Abfrage von Telekommunikationsverkehrsdaten einschränken:
Gesetzgeber und Praxis müssen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen Konsequenzen ziehen
Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg hat im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz die Nutzung von Telekommunikationsverkehrsdaten für Zwecke der Strafverfolgung
(§§ 100g, 100h StPO alte Fassung) evaluiert. Die Studie geht zu Recht davon aus, dass Verkehrsdaten ein hohes
Überwachungspotential in sich tragen und besser als andere Daten dazu geeignet sind, soziale Netzwerke nachzuweisen, Beziehungen zu identifizieren und Informationen über Individuen zu generieren. Der Studie zufolge ist die Zahl
der Verkehrsdatenabfragen erheblich und kontinuierlich von 10 200 (2002) auf 40 000 Abfragen (2005) angestiegen.
Zudem erfasst die Maßnahme regelmäßig auch eine Vielzahl unbescholtener Bürgerinnen und Bürger.
Das Bundesministerium der Justiz hat die Studie erst im Februar dieses Jahres und somit nach der Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung und Einführung der Vorratsdatenspeicherung veröffentlicht. Das Gutachten liefert
Erkenntnisse, deren Berücksichtigung im Gesetz vom 21. Dezember 2007 erforderlich gewesen wäre. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sehen sich durch die Studie in ihrer schon früher geäußerten Kritik
(vgl. ihre Entschließung vom 8./9. März 2007) bestätigt. Sie fordern den Gesetzgeber auf, die gesetzliche Regelung
unter folgenden Aspekten nun zügig nachzubessern:
– Die Straftatenschwelle für Verkehrsdatenabfragen sollte insbesondere im Hinblick auf die inzwischen eingeführte
Vorratsdatenspeicherung auf schwere Straftaten angehoben werden. Ein bedeutsamer Anteil der überprüften Verfahren war allenfalls der mittleren Kriminalität zuzuordnen.
– Die gesetzliche Höchstdauer der Maßnahme sollte von drei auf zwei Monate reduziert werden. Das Gutachten hat
gezeigt, dass die praktischen Bedürfnisse, wie sie sich in den Aktendaten und Befragungsergebnissen äußern, dadurch vollständig abgedeckt würden.

BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008

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