Drucksache 16/12600
– 68 –
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
K a s t e n a zu Nr. 5.1
Entschließung der 73. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
vom 8./9. März 2007
Vorratsdatenspeicherung, Zwangsidentifikation im Internet, Telekommunikationsüberwachung und sonstige
verdeckte Ermittlungsmaßnahmen
Die gesetzlichen Regelungen der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen
sollen nach der Ankündigung der Bundesregierung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer umfassenden Neuregelung unterzogen werden. Die Bundesregierung will in diesem Zusammenhang auch die europäische Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten umsetzen. Das
Bundesministerium der Justiz hat zwischenzeitlich einen Referentenentwurf vorgelegt.
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder betont erneut, dass die Vorratsdatenspeicherung deutschem Verfassungsrecht widersprechen würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist
die Speicherung von Daten auf Vorrat zu nicht hinreichend bestimmbaren Zwecken verfassungswidrig. Zudem würde
die für eine freiheitliche Gesellschaft konstitutive unbefangene Kommunikation erheblich beeinträchtigt. Die Konferenz fordert die Bundesregierung auf, die Umsetzung der Europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zumindest solange zurückzustellen, bis der bereits angerufene Europäische Gerichtshof über deren Rechtmäßigkeit entschieden hat.
Die geplante Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung geht weit über die europarechtliche Umsetzungsverpflichtung
hinaus und wäre ein zusätzlicher unverhältnismäßiger Eingriff in die Kommunikationsfreiheit der Bürgerinnen und
Bürger. So sollen die Daten auch zur Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung sowie mittels Telekommunikation begangener Straftaten genutzt werden. Zudem soll die Möglichkeit zur anonymen E-Mail-Kommunikation abgeschafft und die Nutzenden öffentlich zugänglicher E-Mail-Dienste sollen zur Angabe ihres Namens und ihrer Adresse verpflichtet werden. Diese Angaben sollen außerdem einer Vielzahl von Behörden zum Online-Abruf zur
Verfügung gestellt werden, darunter der Polizei, den Staatsanwaltschaften, den Nachrichtendiensten, dem Zoll und
der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Auch dies begegnet erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken.
Zwar stärken einige der vorgesehenen Änderungen der Strafprozessordnung die rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Sicherungen bei verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen. Es besteht jedoch noch erheblicher Verbesserungsbedarf, insbesondere im Hinblick auf den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, den Schutz
von Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern und die Voraussetzungen der Telekommunikationsüberwachung:
– Mit einer erneuten Ausweitung des Straftatenkatalogs für die Telekommunikationsüberwachung würde die Tendenz zunehmender Überwachungsmaßnahmen in verstärktem Maße fortgesetzt. Der Katalog sollte deshalb mit
dem Ziel einer deutlichen Reduzierung kritisch überprüft werden. Es sollten nur Straftaten auf genommen werden,
deren Aufklärung in besonderem Maße auf die Telekommunikationsüberwachung angewiesen ist, die mit einer
bestimmten gesetzlichen Mindeststrafe (z. B. ein Jahr) bedroht sind und die auch im Einzelfall schwer wiegen.
– Die vorgesehene Kernbereichsregelung ist ungenügend. Sie nimmt in Kauf, dass regelmäßig auch kernbereichsrelevante Informationen erfasst werden. Für solche Informationen muss stattdessen grundsätzlich ein Erhebungsverbot gelten. Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, die dennoch erlangt werden,
müssen zudem einem absoluten Verwertungsverbot unterliegen, nicht nur für Strafverfahren.
– Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist nicht nur in den Bereichen der Wohnraum- und Telekommunikationsüberwachung zu gewährleisten. Auch für alle anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen ist
eine Regelung zum Schutz des Kernbereichs zu treffen.
– Für die Kommunikation mit Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern sollte ein absolutes Erhebungs- und Verwertungsverbot geschaffen werden, das dem jeweiligen Zeugnisverweigerungsrecht entspricht.
Dieses sollte unterschiedslos für alle Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger und deren Berufshelferinnen und Berufshelfer gelten. Die im Entwurf enthaltene Differenzierung zwischen bestimmten Gruppen
von Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern ist sachlich nicht gerechtfertigt.
– Für Angehörige i.S.v. § 52 StPO sollte ein Erhebungs- und Verwertungsverbot für die Fälle vorgesehen werden, in
denen das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht überwiegt. Die besonderen verwandtschaftlichen Vertrauensverhältnisse dürfen nicht ungeschützt bleiben.
– Für teilnehmende Personen von Kernbereichsgesprächen, die weder Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger noch Angehörige i. S. v. § 52 StPO sind, sollte insoweit ein Aussageverweigerungsrecht aufgenommen werden. Andernfalls bleibt der Kernbereich teilweise ungeschützt.
BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008