Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

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Drucksache 16/12600
K a s t e n b zu Nr. 4.3.1

Entschließung der 75. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 3./4. April 2008
Mehr Augenmaß bei der Novellierung des BKA-Gesetzes
Der vom Bundesministerium des Innern erarbeitete Referentenentwurf eines Gesetzes zur Abwehr des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt hat zum Ziel, das Bundeskriminalamt mit umfassenden polizeilichen
Befugnissen zur Verhütung von terroristischen Straftaten und zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit
in diesem Zusammenhang auszustatten. Insbesondere sind Befugnisse zur Durchsuchung, Rasterfahndung, Wohnraumüberwachung und Telekommunikationsüberwachung vorgesehen. Außerdem will das Bundesinnenministerium
eine Befugnis zum heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme („Online-Durchsuchung“) in das
BKA-Gesetz aufnehmen.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sprechen sich dagegen aus, dass dem Bundeskriminalamt
nach dem Gesetzentwurf mehr Befugnisse eingeräumt werden sollen, als einzelnen Landespolizeien zur Erfüllung ihrer eigenen Gefahrenabwehraufgaben zustehen. Sie halten es daher für geboten, im weiteren Gesetzgebungsverfahren
die Befugnisse des BKA auf die zur Aufgabenerfüllung zwingend notwendigen Kompetenzen zu beschränken.
Die bisherige informationelle Gewaltenteilung zwischen den Polizeien der Länder und dem BKA diente auch dem
Datenschutz. Die Konferenz fordert deshalb eine klare, d. h. hinreichend trennscharfe Abgrenzung der spezifischen
Befugnisse des Bundeskriminalamts einerseits zu denen der Landespolizeien und Verfassungsschutzbehörden andererseits.
Dem Referentenentwurf zufolge soll die Aufgabenwahrnehmung durch das Bundeskriminalamt die Zuständigkeit
der Landespolizeibehörden auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr unberührt lassen. Dies führt zu erheblichen datenschutzrechtlichen Problemen, da nach geltendem Recht auch die Länder bei Abwehr einer durch den internationalen Terrorismus begründeten Gefahr parallele Abwehrmaßnahmen ergreifen können. Angesichts der Weite der für
das Bundeskriminalamt vorgesehenen und den Landespolizeibehörden bereits eingeräumten Datenerhebungs- und
Datenverarbeitungsbefugnisse steht zu befürchten, dass es zu sich überlappenden und in der Summe schwerwiegenderen Eingriffen in das informationelle Selbstbestimmungsrecht Betroffener durch das Bundeskriminalamt und
die Landespolizeibehörden kommen wird.
Ebenso stellt sich die grundsätzliche Frage der Abgrenzung von Polizei und Verfassungsschutz. In den vergangenen
Jahren sind die Polizeigesetze des Bundes und der Länder zunehmend mit Befugnissen zur verdeckten Datenerhebung (z. B. heimliche Video- und Sprachaufzeichnungen, präventive Telekommunikationsüberwachung) ausgestattet
worden. Zudem wurden die Eingriffsbefugnisse immer weiter ins Vorfeld von Straftaten und Gefahren erstreckt. Damit überschneiden sich die polizeilichen Ermittlungsbefugnisse zunehmend mit denen des Verfassungsschutzes.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur „Online-Durchsuchung“ vom 27. Februar 2008 den Gesetzgeber erneut verpflichtet, den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zu gewährleisten. Diese Vorgabe
des Gerichts gilt nicht nur für eine etwaige gesetzliche Regelung zur „Online-Durchsuchung“, sondern für alle Eingriffsmaßnahmen. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder fordern den Gesetzgeber deshalb auf, im
Rahmen der Novellierung des BKA-Gesetzes den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung für alle Eingriffsmaßnahmen zu regeln.

dung gemäß § 20j BKAG entsprechend den verfassungsgerichtlichen Vorgaben konkretisiert. Die Anordnung der
Rasterfahndung unterliegt jetzt dem Richtervorbehalt.
Die ursprünglich vorgesehene Eilfallregelung wurde gestrichen, so dass in jedem Fall ein Richter über die Durchführung von Online-Durchsuchungen zu entscheiden hat.
Auch die Verwertung der bei einer solchen Maßnahme
anfallenden Daten soll, sofern sie möglicherweise den
Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, nur mit
richterlicher Genehmigung erfolgen. Auch konnte erreicht werden, dass die Bedingungen für die zulässige
Übermittlung von Erkenntnissen des BKA an die Nachrichtendienste verschärft wurden.

Positiv ist schließlich, dass der Gesetzgeber eine Verpflichtung zur Evaluierung der neuen Aufgabenzuweisung für
das BKA sowie der Befugnisse zur Rasterfahndung und
zum verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme (s. o. Nr. 4.1.2) nach Ablauf von fünf Jahren beschlossen hat.
Ob die neue Aufgabe des BKA zu dem versprochenen
„Mehr“ an Sicherheit führen wird, dürfte jedenfalls erst in
einigen Jahren abschätzbar sein, wenn das Gesetz entsprechend evaluiert worden ist.
Das novellierte BKA-Gesetz ist am 1. Januar 2009 in
Kraft getreten (BGBl. I 2008 S. 3083).

BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008

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