Drucksache 16/12600
4.3.1

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BKA-Gesetzesnovelle

Durch die Novellierung des BKA-Gesetzes werden dem
BKA erstmals umfassende polizeiliche Befugnisse zur Abwehr des internationalen Terrorismus eingeräumt. Datenschutzrechtliche Kritik wurde dabei nur zum Teil berücksichtigt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

einigungen. In diesen Fällen wäre das BKA also auf Gefahren abwehrende Befugnisse nicht angewiesen.
K a s t e n a zu Nr. 4.3.1
Ergebnis der Förderalismusreform

Die durch die Föderalismusreform vorgezeichnete Aufgabenzuweisung an das BKA bedeutet eine Zäsur in der
bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur (vgl. Kasten a zu
Nr. 4.3.1). Die deutsche Polizei war in der Bundesrepublik Deutschland von Beginn an Ländersache. Die Zuweisung präventiver Befugnisse an das BKA verändert
diese Kompetenzaufteilung, die letztlich auch öffentliche
Gewalt begrenzende Ziele verfolgte.

Mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom
28. August 2006 (BGBl. I 2006 S. 2034) wurde u. a.
eine neue ausschließliche Bundeskompetenz zur Regelung präventiver Befugnisse des BKA bei der Abwehr
von Gefahren des internationalen Terrorismus geschaffen.

Die BKA-Gesetzesnovelle begegnet vor allem zwei wesentlichen Kritikpunkten:

cc) Nach Nummer 9 wird folgende Nummer 9a eingefügt:

Ich habe weiterhin erhebliche Zweifel, inwieweit die vorgesehenen Datenerhebungs- und -verarbeitungsbefugnisse für die Erfüllung der dem BKA zugewiesenen Aufgaben wirklich angemessen, erforderlich und geeignet
sind. Neben polizeilichen Standardbefugnissen, z. B.
Platzverweis oder Personalienfeststellung, erhält das
BKA zusätzlich besondere Ermittlungsbefugnisse bis hin
zur Online-Durchsuchung informationstechnischer Systeme. Schon im Hinblick auf die weiterhin bestehende
Zuständigkeit der Länder bei der Abwehr von Gefahren
des internationalen Terrorismus ist fraglich, ob für die
wenigen Fälle, in denen das BKA selbst tätig werden
wird, diese Fülle neuer Befugnisse wirklich angemessen
ist. So sind Eingriffsmaßnahmen mit großem zeitlichen
Vorlauf, etwa die Rasterfahndung, nicht geeignet, um auf
terroristische Bedrohungslagen schnell zu reagieren.
Schutzpolizeiliche Standardbefugnisse setzen eine flächendeckende Präsenz des Amtes voraus, die faktisch
nicht gegeben ist. Das Nebeneinander von Zuständigkeiten des BKA und der Landespolizeibehörden für die Gefahrenabwehr sehe ich auch insofern kritisch, als es dazu
führt, dass sowohl das BKA als auch die Länder parallele
Abwehrmaßnahmen ergreifen können und dabei gleich
mehrfach personenbezogene Daten verarbeiten.

„9a. die Abwehr von Gefahren des internationalen
Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer
Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder
die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht;“.

Die dem BKA eingeräumten heimlichen Eingriffsbefugnisse greifen in einer Weise in die Persönlichkeitsrechte
ein, die bislang ganz wesentlich den Nachrichtendiensten
vorbehalten waren. Waren bei den Nachrichtendiensten
diese sog. nachrichtendienstlichen Mittel deshalb vertretbar, weil die Dienste keinerlei exekutive Befugnisse besitzen, so verhält sich dies hier anders: Wenden Polizeibehörden heimliche Ermittlungsmethoden an, können diese
mit exekutiven Befugnissen verbunden werden. Dies erhöht die Eingriffsintensität und die Folgen für den Betroffenen ganz erheblich.
Schließlich geht es auch um das Verhältnis zwischen Prävention und Strafverfolgung. Bereits vor der Novelle
hatte das BKA die Befugnis, in bestimmten Deliktsbereichen Ermittlungen vorzunehmen, allerdings unter der
Verfahrensleitung der Generalbundesanwaltschaft und
nach den Regeln der Strafprozessordnung. Zu diesen Deliktsbereichen zählt auch die Bildung terroristischer Ver-

BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008

Artikel 73 GG wurde dazu wie folgt geändert:

Der andere wesentliche Kritikpunkt an dem Gesetz betrifft die Gewährleistung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Das Bundesverfassungsgericht hat in
mehreren Entscheidungen in den letzten Jahren dem Gesetzgeber aufgegeben, diesen Kernbereich bei heimlichen
Datenerhebungsbefugnissen abzusichern, insbesondere
indem Eingriffe in diesen Bereich soweit möglich von
vornherein unterbleiben. Dieses Erhebungsverbot muss
zudem durch Regelungen über die sofortige Löschung intimer Informationen und der Nicht-Verwertbarkeit ergänzt werden, wenn es ausnahmsweise doch zu einer
Kernbereichsverletzung gekommen ist. Das BKA-Gesetz
weist insofern Defizite auf. So verbleiben verfassungsrechtliche Zweifel daran, dass die Online-Durchsuchung
informationstechnischer Systeme (s. o. Nr. 4.1.2) sowie
die Überwachung der Telekommunikation nur unzulässig
sein sollen, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte
anzunehmen ist, dass allein kernbereichsrelevante Inhalte
erfasst werden. Da diese Fälle in der Praxis kaum vorkommen werden, läuft das Gebot, Eingriffe in den Kernbereich privater Lebensgestaltung grundsätzlich zu unterlassen, weitgehend ins Leere. Auch ist es aus meiner
Sicht unzureichend, wenn im Zusammenhang mit der Erhebung von Daten mit besonderen Mitteln gemäß
§ 20g BKAG, wie z. B. längerfristige Observationen oder
der Einsatz verdeckter Ermittler, von Regelungen zum
Schutz des Kernbereichs völlig abgesehen wurde.
Diese Kritik wird von der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder geteilt (vgl.
Kasten b zu Nr. 4.3.1).
Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens wurden aber auch
– gemessen an den Vorentwürfen – einige Verbesserungen vorgenommen. So wurde die Gefahrenschwelle als
Voraussetzung für die Durchführung einer Rasterfahn-

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