Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Drucksache 14/5555
– 223 –
Anlage 20 (zu Nrn. 1.5, 12.3)
Entschließung der 59. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
vom 14./15. März 2000 zu:
Risiken und Grenzen der Videoüberwachung
Immer häufiger werden Videokameras eingesetzt, die für
Zwecke der Überwachung genutzt werden können. Ob
auf Flughäfen, Bahnhöfen, in Ladenpassagen, Kaufhäusern oder Schalterhallen von Banken oder anderen der Öffentlichkeit zugänglichen Einrichtungen, überall müssen
Bürgerinnen und Bürger damit rechnen, dass sie auf
Schritt und Tritt offen oder heimlich von einer Videokamera aufgenommen werden. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sieht darin
die Gefahr, dass diese Entwicklung zu einer Überwachungsinfrastruktur führt.
Mit der Videoüberwachung sind besondere Risiken für
das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbunden. Weil eine Videokamera alle Personen erfasst, die in
ihren Bereich kommen, werden von der Videoüberwachung unvermeidbar völlig unverdächtige Menschen mit
ihren individuellen Verhaltensweisen betroffen. Erfassung, Aufzeichnung und Übertragung von Bildern sind
für die Einzelnen in aller Regel nicht durchschaubar.
Schon gar nicht können sie die durch die fortschreitende
Technik geschaffenen Bearbeitungs- und Verwendungsmöglichkeiten abschätzen und überblicken. Die daraus resultierende Ungewissheit, ob und von wem sie beobachtet werden und zu welchen Zwecken dies geschieht,
erzeugt einen latenten Anpassungsdruck. Dies beeinträchtigt nicht nur die grundrechtlich garantierten individuellen Entfaltungsmöglichkeiten, sondern auch das gesellschaftliche Klima in unserem freiheitlichen und
demokratischen Gemeinwesen insgesamt. Alle Menschen
haben das Grundrecht, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, ohne dass ihr Verhalten durch Kameras aufgezeichnet wird.
Überwachung bestimmter Personen sowie die Suche nach
Personen mit bestimmten Verhaltensmustern müssen
grundsätzlich verboten sein. Ausnahmen müssen im
Strafprozessrecht und im Polizeirecht präzise geregelt
werden. Videoüberwachung darf nicht großflächig oder
flächendeckend installiert werden, selbst wenn jeder Einsatz für sich gesehen gerechtfertigt wäre. Auch ein
zeitlich unbegrenzter Einsatz ohne regelmäßige Erforderlichkeitsprüfung ist abzulehnen. Der Schutz der Freiheitsrechte erfordert überdies, dass heimliches Aufzeichnen
und unbefugte Weitergabe oder Verbreitung von Aufnahmen ebenso strafbewehrt sein müssen wie der Missbrauch
videotechnisch gewonnener – insbesondere biometrischer
– Daten und deren Abgleiche.
Dies bedeutet:
1. Bei einer gesetzlichen Regelung der Videoüberwachung durch öffentliche Stellen dürfen Einschränkungen nur aufgrund einer klaren Rechtsgrundlage erfolgen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Rechnung trägt.
– Die Voraussetzungen einer Videoüberwachung und
der mit ihr verfolgte Zweck müssen eindeutig bestimmt werden. Dafür kommen – soweit nicht überwiegende schutzwürdige Belange von Betroffenen
entgegenstehen – unter Anderem in Betracht:*)
n
Daher müssen
– eine strenge Zweckbindung,
– eine differenzierte Abstufung zwischen Übersichtsaufnahmen, dem gezielten Beobachten einzelner Personen, dem Aufzeichnen von Bilddaten und dem Zuordnen dieser Daten zu bestimmten Personen,
– die deutliche Erkennbarkeit der Videoüberwachung
für die betroffenen Personen,
– die Unterrichtung identifizierter Personen über die
Verarbeitung ihrer Daten
– sowie die Löschung der Daten binnen kurzer Fristen
strikt sichergestellt werden.
Jede Einrichtung einer Videoüberwachung sollte der datenschutzrechtlichen Vorabkontrolle unterzogen werden.
Das heimliche Beobachten und Aufzeichnen, die gezielte
n
n
die Beobachtung einzelner öffentlicher Straßen
und Plätze oder anderer öffentlich zugänglicher
Orte, auf denen wiederholt Straftaten begangen
worden sind, solange tatsächliche Anhaltspunkte
dafür bestehen, dass dort weitere Straftaten begangen werden (Kriminalitätsschwerpunkte) und
mit der Beobachtung neben der Sicherung von Beweisen eine Präventionswirkung erreicht werden
kann; der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist
dabei strikt zu beachten. Ungezielte Verlagerungsprozesse sollten vermieden werden.
für die Verkehrslenkung nur Übersichtsaufnahmen,
der Schutz öffentlicher Einrichtungen im Rahmen
der ordnungsbehördlichen Gefahrenabwehr, solange eine besondere Gefahrenlage besteht.
– Maßnahmen im Rahmen des Hausrechts dürfen den
grundsätzlich unbeobachteten Besuch öffentlicher
Gebäude nicht unverhältnismäßig einschränken.
*) Die kursiv gedruckte Passage wurde bei Stimmenthaltung der Datenschutzbeauftragten der Länder Brandenburg, Bremen, MecklenburgVorpommern und Nordrhein-Westfalen angenommen.