Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
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laufende Ermittlungsverfahren benötigten Daten geschieht. Tief in das Persönlichkeitsrecht eindringende
Eingriffsbefugnisse müssen hinsichtlich ihrer Wirkungen
bewertet werden können, um sowohl ein Unter- als auch
ein Übermaß zu vermeiden. Der Bürger muss nachvollziehen können, weshalb solche Eingriffe in seine Freiheit
in einem Rechtsstaat gerechtfertigt sind. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium der Justiz ein Forschungsvorhaben zur Evaluierung der Telefonüberwachungsmaßnahmen in Auftrag gegeben, das ich als einen
ersten Schritt für die Bewertung der Notwendigkeit und
der Effektivität der Ermittlungsmaßnahmen begrüße.
Leider ist ein anderes wichtiges Vorhaben beim Bundeskriminalamt, das durch das Sammeln und Dokumentieren
von Fallschilderungen Defizite und andere Schwachstellen in bestehenden gesetzlichen Regelungen erkennen
und auf diese Weise rechtspolitischen Handlungsbedarf
aufzeigen sollte, ins Stocken gekommen. Das Vorhaben
einer Rechtstatsachensammelstelle steht quasi vor seinem
Aus, wird es nicht auf politischer Ebene wiederbelebt und
mit hohem Nachdruck neu in Gang gesetzt (s. Nrn. 6.4.2
und 11.9).
1.4
Verwendung der Stasi-Abhörprotokolle – Wie weit reicht der
Opferschutz? –
Der Berichtszeitraum war besonders von dem rechtspolitischen Streit darüber geprägt, ob und in welchem Umfang Stasi-Abhörprotokolle in einem parlamentarischen
Untersuchungsausschuss und von Medien verwendet
werden können. Hierbei wurde leider auch behauptet,
dass ost- und westdeutsche Personen der Zeitgeschichte
unterschiedlich behandelt würden.
Ich habe in dieser Diskussion immer den Opferschutzgedanken des Stasi-Unterlagen-Gesetzes in den Vordergrund gestellt. Eine Unterscheidung der Stasiopfer nach
ihrer Herkunft – Ost oder West – habe ich zu jeder Zeit abgelehnt. Die Stasi-Abhörprotokolle sind illegal entstandene Unterlagen, die nach den Grundsätzen unseres
Rechtsstaates nicht hätten entstehen dürfen. Sie dürfen
deshalb jetzt nicht zum Nachteil der Opfer der Praktiken
des MfS genutzt werden.
Hinsichtlich der Verwendung der Stasi-Abhörprotokolle
in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss war
die Problematik nicht neu. Bereits 1995 hatte der sog.
Schubladenausschuss des Kieler Landtages ebenfalls auf
Stasi-Abhörprotokolle der BStU zugreifen wollen. Das
Landgericht Kiel hatte seinerzeit festgestellt, dass StasiAbhörprotokolle nicht an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss herausgegeben werden dürfen, weil die
Rechte der Betroffenen aus Art. 10 Abs. 1 GG bezüglich
der durch das Abhören des Fernmeldeverkehrs gewonnenen Stasi-Unterlagen Vorrang gegenüber dem Aufklärungsinteresse eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses hätten. Das Urteil spiegelte somit
meine Rechtsposition wider, wie auch in meinem 16. und
17. TB nachzulesen ist. Da sich die Bundesregierung in
ihrer Stellungnahme zu meinem 16. TB meiner Auffassung angeschlossen hatte, und die BStU das Thema nicht
weiter problematisiert hatte, kam die Heftigkeit der neu-
Drucksache 14/5555
erlichen öffentlichen Diskussion einigermaßen überraschend. In der Zwischenzeit sind verschiedene juristische
Gutachten erstellt worden, die allerdings wegen ihrer unterschiedlichen Ergebnisse zu keiner endgültigen Klärung
der Rechtsfragen beigetragen haben.
Bis April 2000 bin ich davon ausgegangen, dass die BStU
keine Stasi-Abhörprotokolle von Betroffenen (Opfern)
ohne deren Einwilligung an Medien herausgibt. Über die
Medien erfuhr ich erstmals im Fall Leisler Kiep, dass
Stasi-Abhörprotokolle an die Medien herausgegeben
wurden, obwohl der Betroffene nicht Täter oder Begünstigter, sondern Opfer des MfS war, weil er zielgerichtet
ausgespäht wurde. Im Hinblick auf den für mich eindeutigen Gesetzestext habe ich in diesem Falle die Herausgabe der Stasi-Abhörprotokolle umgehend beanstandet.
Meine ausführliche Rechtsauffassung hierzu habe ich
mehrfach in Parlament und Öffentlichkeit vorgetragen
(s. Nr. 5.8.1). Zusammengefasst ist bei Herausgabe personenbezogener Informationen an Medien wie auch zur
Forschung zu prüfen, ob die Person der Zeitgeschichte
Betroffener oder Dritter ist. In diesem Fall ist eine Herausgabe unzulässig. Betroffene sind nach der maßgeblichen Legaldefinition des Stasi-Unterlagen-Gesetzes Personen, zu denen der Staatssicherheitsdienst aufgrund
zielgerichteter Informationserhebung oder Ausspähung
einschließlich heimlicher Informationserhebung Informationen gesammelt hat. Dies ist bei Opfern illegaler Abhörmaßnahmen eindeutig der Fall. Weiterhin ist für jede
Information gesondert festzustellen, ob Personen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, Begünstigte, Betroffene oder Dritte sind, wobei maßgebend ist, mit welcher
Zielrichtung die Informationen in die Unterlagen aufgenommen worden sind. Nach diesen gesetzlichen Definitionen kann es keinen Zweifel geben, dass – für jedes Protokoll gesondert festzustellen – die Personen, die das Ziel
von illegalen Abhörmaßnahmen waren, Betroffene im
Sinne des StUG sind, wenn klar ist, dass sie weder Mitarbeiter noch Begünstigte der Stasi waren.
Zur Verwendung der Stasi-Abhörprotokolle differieren
die zwischen und z. T. innerhalb der Bundestagsfraktionen vertretenen Auffassungen. Da auch innerhalb der
Bundesregierung unterschiedliche Auffassungen vertreten werden, kommt die einzig zur Verfügung stehende
Möglichkeit einer Rechtsaufsicht der Bundesregierung
nicht zum Tragen. Sollte – was nicht zu hoffen ist – eine
Einigung nicht möglich sein, wird wieder einmal mehr
das Bundesverfassungsgericht oder der Bundesgesetzgeber das Sagen haben müssen.
1.5
Maß der Videobeobachtung nicht
überziehen
Videobeobachtung und -überwachung haben in Deutschland erheblich zugenommen und nehmen weiter zu. Diese
Entwicklung wird dadurch begünstigt, dass viele Bürger
sich an die Kameras gewöhnt haben und nichts mehr dabei denken, wenn sie am Geldautomaten, an Tankstellen,
auf Bahnhöfen oder in Kaufhäusern beobachtet bzw.
überwacht werden. Hinzu kommt, dass die hierfür erfor-