Drucksache 14/5555
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und im Internet die Gefahr neuer Eingriffe in das Grundrecht auf unbeobachtete Kommunikation und das Fernmeldegeheimnis. Es gab sogar Vermutungen, die EU
plane ein System zur totalen Überwachung jeglicher Art
von Telekommunikation, das Grundrechte außer Kraft
setzt, Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verletzt und der
Telekommunikationsindustrie immense zusätzliche Kosten aufbürdet.
Der Entwurf einer Ratsentschließung mit der Dokumentenbezeichnung ENFOPOL 19 schreibt die Ratsentschließung vom 17. Januar 1995 fort, indem technische
Anforderungen an die Betreiber von Telekommunikationsdiensten gestellt werden. Die Pflicht der Betreiber,
notwendige technische Vorkehrungen zu treffen, um
Überwachungsmaßnahmen zu ermöglichen, ergibt sich
jedoch aus dem Recht der einzelnen Mitgliedstaaten. In
Deutschland sind dies die Strafprozessordnung, das
Außenwirtschaftsgesetz und das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses – Gesetz zu Artikel 10 GG. Diejenigen, die geschäftsmäßig
Telekommunikationsdienste erbringen, müssen die berechtigten Stellen, z. B. Strafverfolgungsbehörden, durch
rechtlich definierte Vorkehrungen in die Lage versetzen,
die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation zu ermöglichen, also Schnittstellen bereit halten.
Auch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der
Länder betonten die datenschutzrechtliche Bedeutung des
Entwurfs der Ratsentschließung, ungeachtet der Tatsache,
dass der Rechtsakt im Falle seiner Annahme für die Mitgliedstaaten nicht verbindlich ist. Nach derzeitigem Verhandlungsstand wird es sich um eine bloße Empfehlung
handeln. Ihre Verabschiedung könnte jedoch zur Folge
haben, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre gesetzlichen Voraussetzungen zur Durchsetzung des Fernmeldegeheimnisses neu durchdenken muss.
Die Datenschutzbeauftragten haben auf ihrer 57. Konferenz am 25./26. März 1999 eine entsprechende Entschließung gefasst (s. Anlage 11), die ich dem BMI und dem
BMJ im April 1999 mit der Bitte zugeleitet habe, die darin
enthaltenen Aussagen in die Entscheidungen der Bundesregierung zum Entwurf der Ratsentschließung mit einzubeziehen und mich bei dem weiteren Verfahren rechtzeitig und umfassend zu beteiligen.
Die ursprünglich für Ende Mai 1999 im EU-Ministerrat
vorgesehene Verabschiedung der Ratsentschließung
ENFOPOL 19 ist bislang noch nicht erfolgt. Nach Aussage des BMI ist bisher noch von keiner der der deutschen
ab 1. Juli 1999 nachfolgenden EU-Präsidentschaften die
Initiative wieder aufgegriffen worden. Das BMI bekundet
zwar Interesse an der Empfehlung, wird aber nach eigener Auskunft von sich aus nicht initiativ.
16.4
Abhörsystem ECHELON
In den Medien wurde im Berichtszeitraum immer wieder
und ausführlich über die weltweiten Lauschaktivitäten,
durchgeführt mit Hilfe des globalen Abhörnetzwerks
ECHELON des amerikanischen Geheimdienstes NSA
(National Security Agency), berichtet. Den Presseberich-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
ten zufolge wurde ECHELON entwickelt, um wichtige
militärische Entscheidungen gegnerischer Staaten zu belauschen. Nach Expertenmeinung scannt die NSA seit
Anfang der 80-er Jahre weltweit Telefonate, Faxe, Telexe
und E-Mails, die über internationale Telekommunikationssatelliten, regionale Satelliten und Richtfunkverbindungen gesendet werden, ein. Computerprogramme
sortieren nach Schlüsselbegriffen aus der Fülle der zwischengespeicherten Daten Begriffe, Namen oder Nummern aus, die für die NSA, aber auch für andere staatliche
Stellen wie Polizeibehörden von Bedeutung sein können.
Für dieses gigantische Netzwerk, an dem auch Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland partizipieren, sollen allein bei der NSA weltweit mindestens
40 000 Mitarbeiter im Auftrag ihrer Regierung tätig sein
und die Kommunikation Dritter belauschen und auswerten. Über 100 satellitengestützte Stationen in aller
Welt, eine davon im bayerischen Bad Aibling, sollen
ECHELON rund um die Uhr unterstützen. Damit wäre
nicht auszuschließen, dass auch Bundesbürger, inländische Unternehmen oder öffentliche Stellen überwacht
werden.
Die Bundesregierung hat allerdings in ihrer Antwort vom
17. April 2000 – Bundestagsdrucksache 14/3224 – auf
eine Kleine Anfrage erklärt, ihr lägen „keine Erkenntnisse
über eine Gefährdung der Privatsphäre der Bürgerinnen
und Bürger sowie der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch ECHELON vor“. Die amerikanische Station in Bad Aibling werde nach ihrer Ansicht „zur
Erfassung militärischer Hochfrequenz- und Satellitenverkehre“ betrieben, die für die außen- und sicherheitspolitische Lage der Vereinigten Staaten von Amerika sowie ihrer europäischen Partner von Relevanz seien. Die
Erkenntnisse würden auch dem BND zur Verfügung gestellt. Sie führt weiter aus: „Die von der Station Bad Aibling ausgehende Aufklärung ist demnach grundsätzlich
nicht auf private Telekommunikationsverkehre ausgerichtet. Die Arbeit der Station erfolgt auf der Grundlage des
NATO-Truppenstatuts. Darin ist berücksichtigt, dass ein
missbräuchliches Vorgehen gegen die Bundesrepublik
Deutschland nicht stattfindet. Ein solcher Einsatz wäre
daher unzulässig. Von amerikanischer Seite ist mehrfach
versichert worden, dass von Bad Aibling keine gegen die
Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichteten
Aktivitäten ausgehen. Die Bundesregierung hat keinen
Anlass, an diesen Versicherungen zu zweifeln.“
Unter dem Schlagwort Wirtschaftsspionage gegen die
EU beschäftigen die Aktivitäten der Lauscher inzwischen
auch Gremien der EU. Beweise für eine Schädigung europäischer Firmen durch Wirtschaftsspionage mit Hilfe
von ECHELON konnten zwar bisher nicht erbracht werden. Dennoch wird seitens der EU trotz Dementis aus den
USA geargwöhnt, die ECHELON-Betreiber verletzten
mit den Abhöraktionen europäische Rechtspositionen,
wenn ihre Abhöraktionen zu möglichen Wettbewerbsnachteilen von europäischen Unternehmen führten.
Anstelle eines Untersuchungsausschusses – dieser wurde
mit 350 gegen 200 Stimmen im Europäischen Parlament
abgelehnt – wurde im Juli 2000 ein nicht ständiger Aus-