Drucksache 14/5555
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4. Erweiterung des Straftatenkatalogs auf Einzeltäter und
lose Gruppierungen:
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 G10-Gesetz in der derzeit geltenden Fassung wurde 1978 als Spezialtatbestand und
Auffangklausel für die Bekämpfung des Terrorismus in
das G10-Gesetz eingefügt. Schon im Gesetzgebungsverfahren zum Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994
hatte das BfV gefordert, Einzeltäter, die weder einer
terroristischen Vereinigung angehören noch in deren
Namen eine Straftat begehen, nach dem G10 überwachen zu dürfen.
Diese anlässlich einer Anhörung vom BfV erhobene
Forderung nach Erweiterung des Straftatenkatalogs auf
Einzeltäter und lose Gruppierungen auch ohne Vorliegen einer terroristischen Vereinigung wurde in den Gesetzentwurf aufgenommen. Dies erfolgte allerdings
mit der Einschränkung, dass die von extremistischen
Einzeltätern oder losen Gruppierungen geplanten bzw.
begangenen Straftaten, wie Mord und Totschlag, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme, Brandanschläge, gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr, sich
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung,
den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines
Landes richten müssen.
Diese Erweiterung im G10-Gesetz ist auch nach Auffassung der Datenschutzbeauftragten der Länder ein
gravierender Eingriff in das Grundrecht nach Art. 10
GG. Damit soll ermöglicht werden, sowohl im Vorfeld,
d. h. in der Planungsphase, als auch zum Zeitpunkt der
Begehung der aufgeführten Straftaten und nach deren
Durchführung mit den in § 1 G10 genannten Maßnahmen gegen einen Einzeltäter oder eine lose Gruppierung durch den Verfassungsschutz vorzugehen. Darüber hinaus wird das Trennungsgebot nach Art 87 Abs. 1
Satz 2 GG berührt, das sicherstellen soll, dass die Koppelung geheimdienstlicher Informationsmacht und polizeilicher Exekutivbefugnisse verhindert wird, um die
Freiheitssphäre der Bürger nicht unverhältnismäßig zu
beeinträchtigen. Verdeckte Ermittlungen von der Einsatzschwelle eines konkreten Anfangsverdachts zu
lösen und – nach nachrichtendienstlicher Art – schon
im Vorfeld zur Verdachtsgewinnung durchzuführen,
würde die Gefahr unverhältnismäßig ausweiten, dass
auch gegen Unbescholtene strafrechtlich ermittelt werden könnte (s. 15. TB Nr. 28.1). Neben diesen Bedenken habe ich die Frage nach dem Realitätsbezug des
Vorhabens gestellt. Die Bundesregierung hat daraufhin
zur Untermauerung der Erforderlichkeit dieser Gesetzesänderung eine Reihe von Rechtstatsachen in die Begründung des Entwurfs aufgenommen. Aber auch die
dort genannten Gründe vermögen mich nicht davon zu
überzeugen, dass die Erweiterung des Straftatenkatalogs vor allem auf Einzeltäter notwendig ist.
Mit Rücksicht auf die Tatsache, dass im Berichtszeitraum die Extremismusgefahr weiter anstieg und ihr in
erster Linie mit staatlichen Mitteln begegnet werden
muss, habe ich vorgeschlagen, die geplante Erweiterung zumindest zu befristen und einer Erfolgskontrolle
zu unterziehen. Mit dem ersten Teil des Vorschlages hat
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
sich die Bundesregierung nicht einverstanden erklärt,
obwohl solche Befristungen bei Eingriffen in Art. 10
GG bereits festgelegt wurden:
Die mit dem 7. Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes vom 28. Februar 1992 (BGBl. I S. 273)
eingeführte Ermächtigung an das Zollkriminalamt, zur
Verhinderung schwerwiegender Kriegswaffen- und
Ausfuhrdelikte das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis einzuschränken (§§ 39 bis 43 AWG), wurde
vom Gesetzgeber wegen der mit solchen Beschränkungen verbundenen Eingriffe in das Grundrecht des
Art. 10 GG und der erforderlichen Erprobung solcher
Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit seinerzeit nur
befristet in das AWG aufgenommen. Die Befristung
wurde mehrmals verlängert und fiel erst nach einer Erfolgskontrolle weg, nachdem feststand, dass diese
Überwachung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs durch das Zollkriminalamt ein wirksames Instrument zur Verhinderung und Aufdeckung von Außenwirtschaftsstraftaten ist.
Mein Vorschlag sah auch vor, dass die Bundesregierung dem Parlament nach Ende der Befristung einen
aussagefähigen Bericht vorlegen müsste, damit es qualifiziert über den Fortbestand der Regelung oder ihre
Aussetzung entscheiden kann. Der Bericht sollte daher
aussagekräftige Angaben zur Beurteilung der Eingriffsdimension enthalten, um Freiheitseinbußen gegen Gemeinnutzen abwägen und Entwicklungstendenzen erkennen zu können.
Abschließend ist hervorzuheben, dass im Entwurf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts betreffend den
BND und die strategische Kontrolle im Hinblick auf
Prüf-, Kennzeichnungs- und Löschungspflichten, Übermittlungsvorschriften und die Zweckbindung auch für Individualanordnungen nach § 2 G10 vorgesehen sind.
Das Gesetzgebungsvorhaben werde ich auch im Parlament weiterhin kritisch begleiten.
16.2
Kontrollen beim BND
16.2.1 Bessere Zusammenarbeit bei der
Erstellung von Dateianordnungen
Meine frühere Kritik (s. 17. TB Nr. 16.1), der BND habe
seine Verpflichtung zur Erstellung von Dateianordnungen
für seine automatisierten Dateien mit personenbezogenen
Daten nach § 6 BNDG i. V. m. § 14 BVerfSchG unter meiner Beteiligung vor deren Erlass nicht erfüllt, hat zu einer
erfreulichen Entwicklung geführt. Im Berichtszeitraum
ist der BND dazu übergegangen, mich schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt bei der Erarbeitung von Dateianordnungen zu beteiligen. Hierdurch erhalte ich – auch
zum Vorteil des BND – Gelegenheit, in der Entstehungsphase von Dateianordnungen beratend mitzuwirken. Inzwischen sind eine Reihe von Dateianordnungen unter
meiner Beteiligung in Kraft gesetzt worden. Wie sich bei
meinen beiden letzten Kontroll- und Informationsbesuchen beim BND gezeigt hat, waren in diesem Zusam-