Drucksache 14/5555

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worden. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, bis zum
30. Juni 2001 einen verfassungsmäßigen Zustand herzustellen, indem er die klaren Vorgaben des Gerichts
zum Schutz des Grundrechts aus Art. 10 GG und anderer
Grundrechte im Interesse der betroffenen Bürgerinnen
und Bürger umsetzt (s. u. Nr. 16.1.2). Bis dahin ist das Gesetz nur entsprechend nach vom Gericht festgelegten
Maßregeln anzuwenden.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung die Sicherheitsinteressen des Staates und die Rechte
der Betroffenen wieder in ein vernünftiges, ausgewogenes Verhältnis gestellt und dabei die Grundsätze des
Volkszählungsurteils von 1983 fortentwickelt, indem es
die grundrechtlichen Vorgaben zum Schutz des Rechts
auf informationelle Selbstbestimmung auf das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG übertragen hat. Insoweit
bedeutet das Urteil einen Meilenstein für den Datenschutz.
16.1.2 Novellierung des Gesetzes zu Art. 10 GG
In Anbetracht der zeitlichen Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 14. Juli 1999
(s. o. Nr. 16.1.1) begann die Bundesregierung im Herbst
1999 mit den Vorbereitungen zur Novellierung des Gesetzes zu Art. 10 GG (G10). Zu den Ressortgesprächen,
vor allem mit dem federführenden BMI, dem BK und
dem BMJ, bin ich von Beginn an hinzugezogen worden.
Ab Mai 2000 fanden Gespräche mit Innenpolitikern der
Koalitionsfraktionen statt, an denen ich ebenfalls teilnahm.
Bei den Beratungen zeigte sich bald, dass die Bundesregierung das Gesetzgebungsvorhaben nutzen will, über die
Vorgaben des Gerichts hinaus weitere Änderungen im
G10-Bereich zu erreichen. Sie begründet dies mit der fortschreitenden technischen Entwicklung und zwischenzeitlich erkannten Lücken des bisherigen Gesetzes. So soll
u. a. die strategische Fernmeldekontrolle des BND auf internationale Telekommunikation ausgedehnt werden, die
durch Lichtwellenleiter gebündelt übertragen wird.
§ 3 Abs. 1 Satz 1 G10 in der geltenden Fassung beschränkt
die Kontrolle auf nicht leitungsgebundene Telekommunikation, jedenfalls für die in Satz 2 Nr. 2 bis 6 genannten
Gefahrenbereiche.
Der Referentenentwurf wurde Anfang 2001 im Bundeskabinett beraten und danach dem Bundesrat zugeleitet. Es
ist beabsichtigt, das Gesetz innerhalb der vom BVerfG gesetzten Zweijahresfrist in Kraft zu setzen.
Für mich sind folgende Punkte bei der Novellierung von
besonderer Wichtigkeit:
1. Lückenlose Datenschutzkontrolle im gesamten G10Bereich:
Der Entwurf stellt klar, dass sich die Kontrollkompetenz der G10-Kommission, die neben dem Parlamentarischen Kontrollgremium für die Kontrolle der G10Maßnahmen im einzelnen zuständig ist, auf Bundesebene auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und
Nutzung der G10-Erkenntnisse durch Nachrichten-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
dienste des Bundes erstreckt. Die Kontrollkompetenz
geht auf mich über, wenn Informationen aus dem G10Bereich – z. B. um eine Straftat zu verhindern – von
Nachrichtendiensten an andere Bundesstellen übermittelt und dort verarbeitet oder genutzt werden. Damit ist
der Forderung des Bundesverfassungsgerichts, durch
eine normenklare Regelung die Kontrolle des gesamten Prozesses der Erfassung und Verwertung der durch
Beschränkungsmaßnahmen erlangten Daten klarzustellen, Genüge getan.
Weiter regelt der Entwurf auf meine Anregung hin in
Anlehnung an § 24 BDSG einzelne Befugnisse der
G10-Kommission. Danach ist ihr insbesondere Auskunft zu ihren Fragen zu erteilen und Einsicht in alle
Unterlagen, insbesondere in die gespeicherten Daten
und die Datenverarbeitungsprogramme, die im Zusammenhang mit der Beschränkungsmaßnahme stehen, zu
gewähren. Außerdem hat sie jederzeit Zutritt in alle
Diensträume. Bei der Durchführung der Kontrolle
kann mir die Kommission „Gelegenheit zur Stellungnahme in Fragen des Datenschutzes geben“.
Auch die Forderung des Gerichts nach einer ausreichenden Personal- und Sachausstattung der Kommission, gesondert ausgewiesen im Einzelplan des Deutschen Bundestages, bis hin zur Verpflichtung der
Kommission, „Mitarbeiter mit technischem Sachverstand“ zur Verfügung zu stellen, ist im Entwurf vorgesehen.

2. Evaluierung aller G10-Maßnahmen:
Wie andere Gesetze auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit wirft das G10-Gesetz die Frage nach der Geeignetheit der vorgesehenen Maßnahmen auf. Seit langem fordere ich bei tiefen und/oder häufigen
Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht, wie etwa bei der
Telefonüberwachung nach § 100 a StPO, eine wirksame Evaluierung und Erfolgskontrolle (s. 17. TB
Nrn. 6.1 und 11.2). Das BMJ hat, was ich sehr begrüße,
inzwischen ein entsprechendes Forschungsvorhaben
auf den Weg gebracht (s. o. Nr. 11.8).
Die im Zusammenhang mit der akustischen Wohnraumüberwachung durch das Gesetz zur Änderung des
Grundgesetzes (Art. 13) vom 26. März 1998 (BGBl. I
S.610) jetzt in § 100 e StPO geregelten Berichtspflichten markieren einen maßgeblichen Schritt in Richtung
einer Gesetzesevaluierung bei Eingriffsmaßnahmen.
Solche Berichtspflichten ermöglichen bei entsprechender Umsetzung eine laufende parlamentarische Kontrolle dieser mit intensiven Grundrechtseingriffen
verbundenen Maßnahmen. Sie sollen das Parlament
in die Lage versetzen, die Angemessenheit und Eignung der angeordneten Maßnahmen zu überprüfen
(s. o. Nrn. 6.4.2 und 11.8). In diesem Zusammenhang
verweise ich auf die Entschließung der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern vom 26. Juni 2000,
mit der Forderungen erhoben bzw. Anregungen gegeben werden im Hinblick auf den gegenwärtig noch
nicht ausreichenden Berichtsinhalt für nach § 100e
Abs. 1 Nr. 3 StPO getroffene Maßnahmen (s. Anlage 22).

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