Drucksache 14/5555

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Speicherfrist um weitere drei Jahre keine grundlegenden Einwendungen erhoben. Eine darüber hinaus gehende weitere Verlängerung erscheint mir jedoch nur
hinnehmbar, wenn sie im Einzelfall von der ausschreibenden Stelle aus Gründen der öffentlichen Sicherheit
und Ordnung oder der nationalen Sicherheit als unbedingt erforderlich angesehen wird. Keinesfalls genügt
die bloße Bezugnahme auf die längeren Speicherungsfristen für inländische Fahndungen. Ich habe dies auch
gegenüber dem BMI klargestellt. Die Gespräche hierüber mit dem BMI waren bei Redaktionsschluss noch
nicht abgeschlossen.
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Bei Ausschreibungen nach Art. 96 SDÜ tritt das Problem der missbräuchlichen Verwendung der Identität
auf, wobei sich nicht sofort feststellen lässt, ob die Polizei bei einer Personenkontrolle an der Grenze den gesuchten Straftäter, der die Personalien einer unbescholtenen Person benutzt, oder die unschuldige Person
selbst vor sich hat. Dies kann für die unbescholtene
Person sehr unangenehme Konsequenzen bis zur
Klärung der Identität aufwerfen. Da dieses Problem
mit dem aktuellen SIS datenverarbeitungstechnisch
nicht zufriedenstellend lösbar ist, bedienen sich hiesige
Polizeidienststellen einer vorläufigen Lösung, indem
sie dem Betroffenen nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung eine sogenannte Identitätsbescheinigung ausstellen, mit der er seine wahre Identität im
Falle von polizeilichen Kontrollen nachweisen kann.
Dies ist naturgemäß nur eine Behelfslösung, da sie im
Einzelfall mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip kollidieren kann. Auch ist es zuweilen schwer vermittelbar,
dass z. B. ein ausländischer Betroffener sich eine solche Identitätsbescheinigung ausstellen lassen soll,
wenn ein von deutschen Stellen gesuchter Straftäter
sich seiner Personalien bedient. Andererseits kann man
bei gesuchten Schwerkriminellen kaum auf die weitere
Speicherung von Alias-Personalien verzichten. Die
GKI drängt darauf, dass bei der Neukonzeption des SIS
eine datenschutzkonforme Lösung gefunden wird, die
den unbescholtenen Betroffenen so wenig wie möglich
in seinen Freiheitsrechten beeinträchtigt. Dies könnte
beispielsweise durch ergänzende Angaben in dem
Fahndungssystem geschehen.
Auf einen besonders gravierenden Fall der missbräuchlichen Verwendung von Alias-Personalien hat
mich ein italienischer Staatsbürger hingewiesen. Der
Petent teilte mir mit, dass er im August 2000 nach einem Flug von Athen über Zürich nach Brüssel von der
belgischen Grenzpolizei festgehalten wurde, weil seine
Personalien von deutschen Stellen im SIS gespeichert
waren. Nachdem er seine Identität als italienischer
Staatsbürger nachweisen konnte, wurde er von der
Grenzpolizei wieder entlassen. Meine daraufhin durchgeführte Kontrolle ergab, dass sich eine dritte Person
missbräuchlich der Personalien des Petenten bedient
und hierbei seinen gestohlenen Pass benutzt hatte. Daraufhin wurden die Personalien des Petenten als AliasDatensatz zu dieser dritten Person im SIS gespeichert.
Diese Person, die sich im März 2000 in Deutschland
mit dem gestohlenen Pass des Petenten ausgewiesen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
hatte, wurde im Juni 2000 abgeschoben. Da der missbräuchlich benutzte Pass sichergestellt wurde und somit eine erneute missbräuchliche Benutzung auszuschließen ist, wurde der Alias-Datensatz des Petenten
inzwischen gelöscht.

Damit ist die Angelegenheit für den Petenten im Ergebnis
zwar zufriedenstellend beendet, da die durch die SISSpeicherung eingetretenen Reisebeschränkungen nicht
mehr bestehen. Gleichwohl war die nach Art. 96 SDÜ erfolgte Speicherung der Personalien des Petenten – auch
als Alias-Datensatz – rechtswidrig. Nach dieser Vorschrift
dürfen in das SIS nur Daten von Drittausländern eingestellt werden. Da der Petent jedoch die italienische Staatsbürgerschaft besitzt, war die Speicherung seiner Personalien nach Art. 96 SDÜ von Anfang an unzulässig.
Spätestens bei Sicherstellung des gestohlenen Passes
hätte die Unzulässigkeit der Speicherung bemerkt werden
und die sofortige Löschung des Datensatzes erfolgen
müssen.
Damit derartige Fälle für die Zukunft ausgeschlossen
werden, habe ich das BMI gebeten, sicherzustellen, dass
künftig Speicherungen nach Art. 96 SDÜ von Personalien
von Staatsbürgern aus dem Hoheitsgebiet der SchengenVertragsstaaten, deren Daten missbräuchlich benutzt werden, unterbleiben. Auch diesbezüglich sind die Gespräche
mit dem BMI noch nicht abgeschlossen.

11.11 EUROPOL – Gemeinsame
Kontrollinstanz
Das Europäische Polizeiamt EUROPOL hat zum 1. Juli
1999 seinen Wirkbetrieb aufgenommen, nachdem im Anschluss an die Ratifizierung des EUROPOL-Übereinkommens auch die sonstigen Rechtsakte, darunter die Geschäftsordnung für die Gemeinsame Kontrollinstanz
(GKI), vom Rat gebilligt worden waren. Unabhängig davon hat sich die GKI, in der ich gemeinsam mit dem LfD
Sachsen-Anhalt vertreten bin, als das für den Datenschutz
bei EUROPOL zuständige unabhängige Kontrollorgan bereits im Oktober 1998, also kurz nach Inkrafttreten der
Konvention zum 1. Oktober 1998 konstituiert. Sie wurde
unmittelbar danach mit den schwierigen Beratungen beim
Rat über ihre eigene Geschäftsordnung konfrontiert. Dies
ging so weit, dass die GKI, nachdem sie die Geschäftsordnung bereits gebilligt hatte, erneut darüber zu befinden
hatte, weil die von ihr zunächst gebilligte Fassung im Rat
keine Mehrheit fand. Besonders umstritten waren dabei
die Regelungen über das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss (vgl. 17. TB Nr. 11.3). Ich habe dem Kompromiss letztlich zugestimmt, zumal es sich nicht um rein
datenschutzrechtliche Fragen handelte. Entscheidend
bleibt, dass Beschwerden gegen Entscheidungen von
EUROPOL durch eine unabhängige Instanz überprüft
werden. Die Unabhängigkeit der GKI ist durch die Regelungen in der Konvention und in der Geschäftsordnung gewährleistet. Die Kontrollinstanz verfügt zudem über einen
eigenen Haushalt im Rahmen des EUROPOL-Budgets.
Da der Wirkbetrieb von EUROPOL sich so lange verzögert hatte, beschloss die GKI, proaktiv tätig zu werden.

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